Mystic River
um in Hochstimmung versetzt zu werden, um durch das seltene Spektakel eines Sieges über ihr Leben hinaus gehoben zu werden, das wusste Dave. Deshalb besaßen Stadien und Sportplätze die Atmosphäre von Kathedralen: Da vibrierten Lichter, Stoßgebete und vierzigtausend im Gleichtakt einer gemeinsamen Hoffnung schlagende Herzen.
Siegt für mich! Siegt für meine Kinder! Siegt für meine Ehe, dann kann ich euren Sieg mit ins Auto nehmen und mich mit meiner Familie in ihm sonnen, wenn wir zu unserem ansonsten sieglosen Leben zurückkehren.
Siegt für mich! Siegt, siegt, siegt!
Aber wenn die Mannschaft verlor, zerbrach die Hoffnung und jede Illusion von Verbundenheit, durch die man sich den anderen Gläubigen nahe gefühlt hatte, war ebenso hin. Die eigene Mannschaft hatte versagt und damit nur noch einen Zweck: einen zu erinnern, dass man meistens verkackte, wenn man’s probierte. Wenn man hoffte, starb die Hoffnung. Und dann saß man da in dem Siff aus Zellophan, Popcorn und durchweichten Bechern, verlassen in den trüben Trümmern des eigenen Lebens, und auf einen wartete ein langer, dunkler Weg über einen langen, dunklen Parkplatz mit Horden betrunkener, stinkiger Fremder, eine schweigende Frau, die einem das jüngste Versagen vorhielt, und drei schlecht gelaunte Kinder. Das alles nur, damit man ins Auto stieg und zurück nach Hause fuhr, zu genau dem Ort, von dem zu retten die Kathedrale einem versprochen hatte.
Dave Boyle, von 1978 bis 1982 Star-Shortstop der gefeierten Baseballmannschaft der Don-Bosco-Technical-Highschool, wusste, dass es nur wenig auf dieser Welt gab, das unzuverlässiger war als ein Fan. Er wusste, wie es war, die Fans zu brauchen, sie zu hassen, vor ihnen auf die Knie zu sinken und sie um ein weiteres Lobgeheul anzubetteln, und den Kopf hängen zu lassen, wenn man ihnen das wütende kollektive Herz gebrochen hatte.
»Guck dir die Weiber an!«, rief Riesen-Stanley und Dave blickte hoch und sah zwei Mädchen auf der Theke stehen und zu »Brown Eyed Girl« tanzen, das die dritte Freundin grölte. Die beiden auf der Theke warfen den Arsch hin und her und wiegten sich in den Hüften. Die eine hatte fettige Haut und glänzend graue »Fick-mich-Augen«. Dave nahm an, dass sie sich auf dem Höhepunkt ihrer dürftigen Jugend befand, dass sie zu der Sorte Mädchen gehörte, die vielleicht noch die nächsten sechs Monate lang eine Turbonummer im Bett wären. Aber in zwei Jahren würde sie am Ende sein – man sah es schon an ihrem Kinn –, fett und schwabbelig würde sie im Hauskleid rumlaufen und man würde sich kaum noch vorstellen können, dass sie vor gar nicht allzu langer Zeit Lust geweckt hatte.
Die andere dagegen …
Dave kannte sie von klein auf: Katie Marcus, die Tochter von Jimmy und der armen Marita, jetzt Stieftochter von Annabeth, der Cousine von Daves Frau. Aber inzwischen war Katie erwachsen, jeder Zentimeter von ihr war fest und frisch und trotzte der Schwerkraft. Als er sie tanzen, taumeln und lachen sah, als ihr das blonde Haar wie ein Schleier vors Gesicht fiel und dann nach hinten flog, weil sie den Kopf in den Nacken warf und ihren milchigen, geschwungenen Hals zeigte, da spürte Dave eine schwarze sehnende Hoffnung wie Feuer in sich auflodern, und das kam nicht von ungefähr. Das kam von ihr. Die Hoffnung wurde von ihrem Körper zu seinem geschickt, von dem plötzlichen Erkennen in ihrem verschwitzten Gesicht, als sie sich in die Augen schauten, Katie lächelte und ihm leicht zuwinkte, und es fuhr ihm durch die Knochen in die Brust und kitzelte an seinem Herzen.
Verstohlen betrachtete er die Männer in der Bar, sie sahen den beiden tanzenden Mädchen mit benommenem Gesichtsausdruck zu, als wären sie von Gott gesandte Erscheinungen. In den Gesichtern der Kerle erkannte Dave die gleiche Sehnsucht, die er bei den Fans der Angels während der ersten Innings gesehen hatte, eine traurige Sehnsucht und die klägliche Erkenntnis, unverrichteter Dinge nach Hause gehen zu müssen. Wo sie um drei Uhr morgens im Badezimmer ihren Schwanz streichelten, während Frau und Kinder ein Stockwerk höher schliefen.
Dave betrachtete Katie, deren Haut glänzte, und rief sich in Erinnerung, wie Maura Keaveny ausgesehen hatte, als sie nackt neben ihm gelegen hatte, Schweißtropfen auf der Stirn, ein in Alkohol und Lust schwimmender Blick. Lust auf ihn. Dave Boyle, den Baseballstar. Drei kurze Jahre lang der Stolz der Flats. Keiner sprach mehr von dem Kind, das mit zehn Jahren entführt worden
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