Mystic Tales - Sammelband mit 4 Romanen (German Edition)
Boden.
Die Fackeln knisterten.
Die Gestalt in Rot kicherte. »So ist es gut. Seid demütig und bereut Eure Dummheit. Es ist noch nicht lange her, und Ihr wart ebensolche nichtsnutzigen Wesen, wie sie alle dort unten im Tal. Dort unten am Fuße des Eises. Nur mir ist es zu verdanken, dass wir gemeinsam auf IHN warten dürfen. Auf den HERRN DER OBEREN! Auf Dragus, den Großen!«
Einige der kauernden Gestalten schluchzten. Sie fuhren auf und stöhnten, als eine der Fackeln mit einem spritzenden Knall verlosch. Eine nächste folgte und noch eine, als schalte jemand der Reihe nach Lichter aus. Dunkelheit ummantelte die düstere Versammlung. Schwärze, so kalt wie uraltes Gletschereis.
Rita widerstand der Versuchung, die Augen zu schließen und sich der Wärme zu überlassen, die sie umgab. Stattdessen stieß sie einen hellen Schrei aus und verscheuchte so die Ohnmacht. Mit der rechten Hand tastete sie über ihren Hinterkopf und spürte, dass warmer Sirup über ihr Haar rann. Blut! Himmel, s ie blutete! Die Pralinen dose hatte sie verletzt.
Noch immer rutschte der Wagen.
Hatte das nie ein Ende?
Vehement riss sie das Lenkrad herum und steuerte gegen. Tatsächlich schien es, als hielte eine mächtige Faust den Wagen fest und es sah aus, als wäre es ihr gelungen, dem Eis und dem Schnee zu trotzen. Sie würde den Wagen in den Griff bekommen, würde rechts heranfahren und für einige Minuten den Kopf auf das Lenkrad legen, nur durchatmen und ausruhen.
Dann überstürzten sich die Ereignisse.
Wie eine gigantische Flipperkugel wurde das Fahrzeug zurück auf die Straße und von einer Seite zur anderen geschleudert. Es drehte sich, prallte hin und her, stellte sich quer und rutschte wie ein Schlitten auf Räd ern die steile Straße hinunter zu einer Kurve.
Irgendwie schafften Ritas Finger es, den Hebel der Tür zu umklammern. Nur raus aus diesem Geschoss, und zwar sofort.
Sie drückte ihr Gesicht an die Seitenscheibe. Ihre aufgerissenen Augen spiegelten sich im Glas und erblickten , was sie nicht sehen wollte.
Unten in der Kurve stand ein Baum mit einem mächtigen Stamm. Auf diesen rutschte sie in atemberaubender Geschwindigkeit zu.
»Dreh’ dich, verfluchtes Auto!«, kreischte Rita ihre Angst hinaus. Diesmal tat ihr der Ford diesen Gefallen nicht, sondern hielt wie ferngesteuert auf das Ziel zu.
Rita rüttelte an der Tür. Wenn es ihr nicht innerhalb der nächsten zwei Sekunden gelang, diesem Gefängnis zu entkommen, würde sie gegen den Stamm krachen. Die Tür bewegte sich nicht, war verriegelt. Na klar, das ging automatisch.
Impulsiv verschränkte sie die Arme über den Hinterkopf, zog die Beine hinter das Lenkrad hoch, kugelte sich schutzsuchend ein und wartete auf das Unvermeidbare.
Die Zeit stand still.
Sie vernahm das Jammern von sich verziehendem Blech, ein Geräusch, das an das Weinen eines Kindes erinnerte – oder war es ihr eigenes Jammern? - zischend barst die Verbundglasscheibe und es regnete Glas, heulend verbogen sich Achsen und Stahlrohr, Schrauben und Halterungen sprangen kreischend aus ihren Verankerungen, und es war, als hämmere jemand von außen auf den Wagen ein wie ein rachsüchtiger Gott, der Einlass begehrt. Einer, der verletzen und töten will.
Es war das Grauen.
Sie würde sterben.
Dann kamen die Schmerzen. Rita wurde wie von einer Gigantenfaust in den Fußraum gepresst, ihre Beine streckten und bogen sich in unnatürliche Winkel, ihre Sehnen rissen , und ein höllisches Brennen loderte in ihren Rücken.
Plötzlich wurde sie wie ein Ball aus dem Wagen geschleudert, stürzte durch nassen Schnee und prallte gegen einen Stein. Kälte fächerte über ihre Haut und dann war es seltsam still.
Ganz still.
Der Atem des Mannes bildete fette , weiße Wolken in der Kälte. Er lehnte schwer atmend an einem Baumstamm und stöhnte angestrengt. Langsam ging er in die Knie, kauerte im Schnee und spähte um den Baum herum. Vor ihm war alles dunkel.
Der Mann lauschte. Irgendwo zwischen Bäumen und Sträuchern waren Stimmen zu vernehmen , außerdem Äste, die unter Schuhsohlen barsten. Jedes Geräusch wirkte vielfach verstärkt.
Das waren sie.
Und er wollte ihnen entkommen.
Langsam beruhigte sich sein Atem. Gebückt sprang der Mann voran und suchte Schutz hinter Baumstämmen. Mit der Gewissheit, dass ihm der Schnee hilfreich sein würde , blickte er über seine Schulter in den Wald. Seine Verfolger waren dunkel bekleidet, wodurch sie sofort auffallen würden. Allerdings war es
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