Mystic Tales - Sammelband mit 4 Romanen (German Edition)
beschlug innerhalb weniger Sekunden. Sie saß eingepfercht in dieser Blechkiste und wurde herumgeschleudert, war hilflos den Straßenverhältnissen ausgeliefert.
Sie starrte durch das trübe Glas und versuchte etwas zu erkennen, aber es war vergeblich. Für einen Moment sah sie sich im Rückspiegel. Ihre weit aufgerissenen Augen starrten sie an.
Es geschah alles wie in Zeitlupe. Sie konnte das Donnern ihres Herzen in ihren Ohren hören , und ihr war, als habe man einen schwarzen Sack über ihren Kopf gezogen und sie auf eine Rutschbahn hinab gestoßen.
Ritas Finger k rallten sich um das Lenkrad, so dass ihre Knochen weiß hervortraten. Ihr Körper verkrampfte sich. Es konnten nicht mehr als drei Sekunden vergangen sein, seitdem die Hinterräder den Kontakt mit der Straße verloren hatten. Trotzdem kam es ihr vor, als wäre sie schon seit Minuten auf dieser grauenhaften Achterbahn.
Ihr Fuß hämmerte auf das Gaspedal.
Das war unüberlegt, aber der Instinkt war stärker als die Vernunft. Erneut stieß der Wagen irgendwo gegen , und Rita wurde hart nach vorne gedrückt, knallte mit den Rippen gegen das Lenkrad , und die Einkaufstüten hinter ihr klatschten gegen den Fahrersitz. Warum, zum Teufel, öffnete der Airbag nicht? Eine Einkaufstüte wurde nach vorne katapultiert. Etwas Hartes - eine Blechschachtel, vermutli ch gefüllt mit Schweizer Praliné s, prallte gegen ihren Hinterkopf.
Anschnallen!
Sie sollte sich anschnallen!
Ihre Finger fummelten am Gurt, den sie nicht richtig zu greifen bekam.
Amerikanische Autos meldeten, wenn man sich nicht anschnallte. Was für eine alte Gurke fuhr sie überhaupt?
Dieser verfluchte Leichtsinn würde sie umbringen. Wie hatte sie das nur vergessen können? Das war die europäische Leichtigkeit, nicht wahr? Hier fuhr man schneller als in den Staaten, reizte seinen Mietwagen aus und vergaß alles, was man über s Autofahren gelernt hatte.
Blitze schnellten vor ihren Augen hoch. Rita spürte keine Schmerzen, aber ein Schleier zog sich vor ihre Augen.
Fackeln beleuchteten die Wände der Eisgrotte und verwandelten das gefrorene Blau des Eises in blutrotes Flackern.
Ungefähr zwei Dutzend Personen knieten auf einem Teppich. Sie waren in schwarze Umhänge gehüllt , und Kapuzen verbargen ihre Gesichter. Es sah aus, als beteten sie. Ihre Schatten bogen sich an den welligen , glitzernden Wänden empor wie warnende Finger.
Vor ihnen erhob sich eine Person aus einem knorrigen Stuhl. Im Gegensatz zu den anderen war sie in rotes Tuch gehüllt. Unter der Kapuze blitzten stechende Augen hervor. Den Rest des Gesicht e s konnte man nicht erkennen. Dunkel hallte die Männerstimme laut und vernehmlich in der Grotte wider. »Brüder und Schwestern ! W enn der Abtrünnige seine Pläne in die Tat umsetzt, kann das unser Ende sein! Wir sind in größter Gefahr!«
Die Knienden raunten eine Antwort. Sie beteten nicht, sondern verharrten in Demut.
»Ihr Narren seid schuld daran, dass er entkam. Er wird nichts ungenutzt lassen und versuchen, unseren Bund aufzulösen! Er ist ein starker Mann - es könnte ihm gelingen! Was, meine Jünger, sollen wir dann tun?«
Stoßseufzer tönten unter den Kapuzen hervor.
»Die Besten von uns sind ihm auf den Fersen«, flüsterte einer der Hockenden. »Auch wir werden nicht zulassen, dass er den Bund der Oberen sprengt. Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir ihn ergriffen haben. Dann wird er bestraft werden.« Die Stimme stockte.
»Gut so!«, donnerte der Stehende. Er sank zurück auf den Sitz und legte seine Unterarme auf die Lehne. Sein Zeigefinger trommelte ungeduldig. »Vergesst nicht, dass die Zeit für den Herrn der Oberen gekommen ist. Er wird bald bei uns sein und gemeinsam mit uns ...«
»… wachsen !«, tönte es aus einer Vielzahl Kehlen. Es klang wie ein Hauch der Hoffnung.
»So ist es. Wir werden wachsen . Aus kleinen Pflänzchen werden große Bäume. Aus Bäumen werden Wälder. Unsere Äste und Blätter werden ein Dach über die Welt spannen. Es gibt so viele Menschen. Das bedeutet viel Macht. Wir sind die zukünftigen Herrscher! Vergesst das nie! Alle anderen sind nur ... Hüllen! KRANKE Hüllen!« Seine Stimme schwoll an. Er sprang auf. Spontaner Zorn bebte in seinen Worten. »Wie konnte es geschehen, dass er sich befreite? Welcher Narr ließ ihn gehen?« Der letzte Satz hallte wie das Kreischen einer gequälten Katze durch die Eisgrotte. Die Knienden zuckten zusammen , und einige von ihnen senkten ihre Kapuzen bis auf den
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