Mystic Tales - Sammelband mit 4 Romanen (German Edition)
hatte, wie sie das anstellen sollte, abgesehen davon, dass sie noch einmal ausspuckte, eine ebenso hilflose wie unsinnige Geste.
»Warum kann ich mich nicht bewegen?«, fragte sie und versuchte, das Zittern aus ihrer Stimme zu verbannen.
»Es ist die Macht, die dich festhält.«
»Wessen Macht?«
Dragus grinste spöttisch. »Unsere Macht! Wir wollen deinen Tod - also halten wir dich fest!« Diese Sätze klangen naiv, waren aber von einer schockierenden Logik.
Wo war Peter? Bisher hatte Rita ihn noch nicht entdecken können, oder hatte sie ihn übersehen, hatte er sein Gesicht unter einer der Kapuzen verborgen und wartete wie alle anderen auf ihren Tod? Nur so konnte es sein, warum sonst hätte er ihr dieses Leid angetan?
»Warum stehen Ihre Jünger alle wie die Ölgötzen rum?«, spie sie aus. Reden, sie musste reden, denn solange sie redete, lebte sie!
»Sie konzentrieren sich, mein Kind! Sie warten auf den Augenblick, da Richard gerächt wird. Es wird nur noch wenige Minuten dauern.«
Licitus trat heran, in den Händen hielt er den Kristall, den er vorsichtig niederlegte, und somit aus Ritas Blickwinkel verschwand. Als sich das Habichtgesicht wieder aufrichtete, nickte es zufrieden. »Alles ist vorbereitet. Nun soll es geschehen!«
Licitus trat zurück und sah Rita scharf an.
»Verdammt! Macht mich endlich los! Wir sind nicht in irgendeinem bescheuerten Horrorfilm. Wir schreiben 2013 und …«
»Pssst ...« Der große Dragus legte seine Fingerspitze an die Lippen. »Schreien ändert nichts, mein Kind.«
Tränen der Angst und der Verzweiflung traten Rita in die Augen, während fette Schweißtropfen über ihren Körper rollten. »Ich will doch nur wissen, wie das hier weiter geht, will nur wissen …« Sie hasste sich dafür, dass sie winselte. Sie wollte mutig sein und begriff im selben Moment, wie absurd dieser Wunsch war.
»Dies ist das Problem mit euch Unwürdigen. Eure Ungeduld, sogar dann noch, wenn es Euch das Leben kosten wird.« Dragus hob seine Arme.
Nun begriff Rita.
Sie würde von seiner Macht getötet werden.
Nicht durch eine Kordel.
Nicht durch eine Hand.
Durch seine Macht würde er seinen Jüngern demonstrieren, wie unantastbar er war. Er konnte heilen und vernichten. Er, der große Dragus, war ein Gott - ein Gott des Grauens!
»Halt! W artet!«
Rita erstarrte. Sie hatte auf etwas gewartet, von dem sie nicht ahnte, wie es sein würde, aber es würde ihren Tod bedeuten.
»Halt! Großer Meister!«
Dragus ließ seine Arme fallen und entspannte seine Hände, was man von seinem Gesicht nicht behaupten konnte. Zorn überflutete seine Augen , und die Lippen öffneten und schlossen sich wie bei einem hässlichen Fisch. »Wer wagt es …?«, ließ er den Satz unvollendet , und mit einem Mal zog sich sein Gesicht lächelnd in die Breite. Er öffnete seine Arme. »Peter, mein Sohn. Ich hatte dich schon vermisst. Ich ahnte, dass du dabei sein willst. Wir haben dich gesucht, aber nicht gefunden. D u willst dir das Schauspiel nicht entgehen lassen. Komm zu mir ... komm an meine Seite!«
Obwohl Verwirrung durch Rita schnellte wie ein Zitteraal durch den Schlamm, entging ihr nicht, dass Licitus sich mit einer ungestümen Bewegung wegdrehte und vor sich hinstierte.
Dragus legte seiner rechten Hand die Fingerspitzen auf die Schulter. »Licitus, Licitus - mein lieber böser Junge ... lass uns alleine.«
Gehorsam stampfte Licitus davon.
Ein Seufzer entfuhr Rita, als Peter neben Dragus trat. Er trug noch immer seine Jeans und seine Winterjacke, was Dragus mit einem Stirnrunzeln und einem abschätzenden Blick quittierte, der Peter von oben bis unten maß. »Keine Kutte?«
»Ich kann sie nicht finden.«
»Pah!« Dragus winkte ab. »Heute Abend, wenn ich vor die Kameras trete, möchte ich dich in deiner Kutte sehen.«
Peter n ickte. »Jawohl, mein Meister. «
»Sehr gut.« Dragus wies auf Rita. »Schau sie dir an. Sie tötete deinen Bruder , und dir haben wir es zu verdanken, dass sie heute bestraft werden wird.«
Peters verhangene Augen weilten auf Rita.
»Warum tust du das?«, entfuhr es Rita. »Peter ... Bitte, verhindere, dass sie mich töten ... bitte!«
Peters Gesicht war eine undurchdringliche Maske.
»Was empfindest du, Peter?«, fragte Dragus. »Was empfindest du, wenn du sie um ihr Leben betteln hörst?«
»Es ist gut so , Meister.« Obwohl Peter geflüstert hatte, hallten seine Worte an den eisigen Wänden der Halle wider , und die Zuschauer stöhnten bejahend.
»Du wirst
Weitere Kostenlose Bücher