Mystic Tales - Sammelband mit 4 Romanen (German Edition)
Komm!«
Der Gipfel, den man nur erahnen konnte, lag in einer weißen Schneewolke, während Schollen, so breit wie Baseballfelder , den schrägen Hang herabrutschten.
Sie halfen sich hoch und taumelten davon, quer über den Platz. Hinter ihnen brach der Höhleneingang zusammen, von innen verstopfte Eis die Öffnung und verschloss ein für alle Mal sein düsteres Geheimnis.
Die Lawine näherte sich dem Platz, auf dem der Helikopter stand, in rasender Geschwindigkeit. Dann wieder stockten die gewaltigen Schneemassen und es sah aus, als wolle die La wine zur Ruhe kommen, aber das war nur eine Illusion. Sie ruhte nicht, sondern sammelte mehr Schnee, vergrößerte sich und nahm wieder Fahrt auf.
Der Anblick war grandios und strahlte trotzdem höchste Gefahr aus.
»Wohin sollen wir?«, rief Rita erschüttert. »Wo können wir uns verstecken?«
»Komm!« Peter hetzte voran. »Da geht es zu der Höhle, durch die wir gekommen sind. Selbst wenn die Lawine hinter uns den Eingang verschließt, bleibt uns immer noch der Ausgang zur Bergstation.«
»WAS IST DAS?« Rita blieb stehen. Sie traute ihren Augen nicht. Die Rotorblätter des Helikopters drehten sich, erst langsam, dann immer schneller. »Der Hubschrauber. Jemand haut ab, ohne uns mitzunehmen! Ich sehe niemanden vom Fernsehsender. Die Kameras sind schon längst zerstört.« Rita sprang zurück, wedelte mit den Armen und wurde unsanft am Kleid festgehalten.
»Lass den Unsinn!«
»Der Pilot soll uns mitnehmen. Vielleicht hat er uns nicht gesehen. Er darf uns nicht zurücklassen.«
»Du schaffst es nicht mehr bis zum Helikopter. Vielleicht kann er nicht mal mehr starten. Die Lawine ist gleich unten. Wir müssen sehen, dass wir in die Höhle kommen, sonst sterben wir. Und nachdem wir uns gegenseitig das Leben zurückgegeben haben, wäre das ziemlich bescheuert!«
Der stahlblaue Nachmittag s himmel verschwand hinter Schneewehen, die die Lawine vor sich hertrug. Sie hatte inzwischen ungeheuerliche Ausmaße angenommen, fegte Felsbrocken mit sich und hinterließ eine Spur der Verwüstung. Steintrümmer wurden aufgeschleudert und wirbelten wie nach einer Explosion durch die Luft, Gletscherspalten rissen auseinander, verschluckten Schneemassen , und Eisbrocken brachen krachend aus ihrem Gefüge.
Ritas Herz hämmerte.
Das Inferno war erregend und unheimlich. Wie ein weißer , wirbelnder Tornado, der sich flach auf den Hang drückt, eine weiße Wand, die gnadenlos alles verschluckt, was sich ihr in den Weg stellt, raste die Lawine auf sie zu, während der Helikopter langsam nach oben stieg. Er würde den Naturgewalten entkommen und Peter und sie zurücklassen.
Aber wer steuerte den Helikopter?
Alle Jünger waren verschüttet worden.
Die Lawine trieb eine Windböe vor sich her, die in einen tobenden Sturm überging und Rita bewusst machte, dass sie unter dem blauen Kleid, das ihr in Fetzen von der Haut hing, nackt war. Sie tastete nach ihrer Schulter, und ihre Finger färbten sich blutig. Der Eisbrocken, der von der Höhlendecke gefallen war, hatte sie verletzt.
Von all dem spürte Rita nichts. Was sie erlebte, betäubte Schmerzen und Kälte.
»Nun komm endlich!«, schrie Peter gegen das Dröhnen und Donnern an. »Die Lawine wird uns überrollen wie ein D-Zug!«
Rita wirbelte herum. »Verdammt, wer steuert den Hubschrauber?«
Über ihnen schrappten die Rotorblätter , und wie eine betrunkene Libelle kämpfte der Fl ieger gegen den Sturm an. Schneemassen überschwemmten die Satellitenschüssel und die Tribüne, verschluckte die Aufbauten wie das Maul eines Wales winzige Fische.
Rita taumelte zurück.
Sie erkannte, wer in der Kanzel des Helikopters saß und für einen Moment setzte ihr Herzschlag aus.
Der große Dragus!
»Wie ist dieses Arschloch rausgekommen?«, schrie Rita gegen den ohrenbetäubenden Lärm an. »Wie ist es ihm gelungen?«
Die Lawine donnerte auf den Platz, groß und gewaltig, ein Höllenwirbel aus gefrorenem Eis und raste mit unglaublicher Geschwindigkeit auf Rita und Peter zu.
Hinter Rita brüllte Peter gegen das Donnern an.
Rita stand wie angewurzelt und starrte zu dem Helikopter hoch, der sich wie wild drehte und tanzte und der in wenigen Minuten verschwunden sein würde und mit ihm der Sektenführer. Es war noch nicht zu Ende.
Ihre Blicke begegneten sich. Die Augen von Dragus waren groß wie Unterteller , und sein Gesicht war ein einziges höhnisches Lachen. Er hob mit einer Hand den Kristall hoch, der nun strahlend rot glühte und
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