Mystic Tales - Sammelband mit 4 Romanen (German Edition)
Bernard über das nasse Haar. »Ich krieg‘ das schon in‘ n Griff, hab‘ keine Angst.«
Er lächelte dankbar. Sein Blick schweifte durch das Quartier. Ihre Herberge in der Fields Lane unterschied sich nicht von den vielen anderen Armenquartieren in London. Eine verlauste Wohnung, ein großer Raum, in dem kein vernünftiger Mensch wohnen wollte. Bretterdielen bogen sich nach oben, aufgequollen von Feuchtigkeit. Auf den Wänden schimmelige Inseln, eine schmutzige Weltkarte der Armut. Fließendes Wasser gab es nicht, dafür Töpfe, die, wenn sie mit Exkrementen gefüllt waren, kurzerhand aus dem Fenster geschüttet wurden, Fenster, deren Scheiben schon lange eingeschlagen worden waren, vor denen jetzt speckiges Permanent den schlimmsten Wind abhielt. In den Boden waren Löcher eingelassen, durch die eine Flucht vor der Polizei die weiteren drei Stockwerke nach unten möglich war, Geheimgänge für Diebe, Hehler und Zuhälter. Im Moment war Bernard mit Meggy alleine, was eine Seltenheit war. Normalerweise bewohnten zehn bis fünfzehn Personen diesen Raum, soffen, spielten, stritten oder trieben es miteinander. Zwei Kinder waren darunter, ein Junge und ein Mädchen, verkommene , armselige Geschöpfe, Kinder, die man abends mit Schnaps betäubte, damit sie nicht störten, wenn Pläne geschmiedet wurden oder irgendeine Hure für eine Handvoll Kartoffeln ihren Körper an Betrunkene verkaufte.
Bernard schloss angeekelt vor sich und dieser Welt seine Augen.
Sofort übermannte ihn ein Traum.
Er träumte ihn hin und wieder und stets verwirrte er ihn.
Er sah sich als kleinen Jungen. Er spielte vor einem großen Haus in einer Sandkiste. Eine Frau mit einem weißen Kleid – Mom? – tanzte um ihn herum , und ein kleines Mädchen, ebenfalls mit einem weißen Kleid bekleidet – Vicky, kleine süße Vicky! – sang ein Lied. Sie tollten auf einem gepflegten Rasen , und ein schnittiger Windhund – Branko? – spielte japsend und hechelnd mit ihnen. Die Sonne schien , und ein hochgewachsener Mann – Dad ! – öffnete eine Weinflasche und schenkte der Frau ein. Gutgelaunt sahen sie ihren spielenden Kindern zu.
Schlagartig fegte eine Regenfront über das schöne , große Haus, Blitze zuckten vom Himmel , und die Bäume bogen sich im Sturm. Der Regen wusch die weiße Farbe vom Kleid der Frau, wusch das Grün der Rasenfläche weg, und Branko verwandelte sich in ein struppiges Monster, das, die Zähne gefletscht, vor den Kindern stand, die Ohren flach an den Kopf gelegt, die Augen blutrot vor Hass. Donner grollte über das Haus, ein Blitz spaltete das Dach des weißen Pavillons , und Bernard brüllte nach seinen Eltern, die sich in flatternde Wesen verwandelten, die sich auflösten. Aus der undurchsichtigen Regenfront trat ein Schatten. Seine Hände hatte er vor sich gestreckt, sein Gesicht war eine silberne Maske , und der Funken eines Blitzes fing sich in einem Siegelring. Er lachte hallend , und seine Maske glühte nun flammendrot.
Bernard schrie, schrie seine Angst heraus ...
... und erwachte.
Meggy drückte seinen Körper fest auf das Strohlager und flüsterte beruhigend . Sehr langsam kehrte Bernard in die Realität zurück, die Schmerz und Fieber bedeutete.
»Schick‘ nach Strock. Er und Dandy sollen es erledigen. Sie sollen dieses Weib zu mir bringen«, ächzte er.
»Später, Bernard, später«, sagte Meggy. Ihr Atem roch nun doch nach Alkohol , und ihre Augen waren trübe. »Es war nur ein Traum , nur ein Traum.« Sie weinte still und tonlos.
»Ich will Blackholes Geliebte, will sie hier haben. Dieser Teufel soll leiden, soll wissen, wie es ist, wenn man etwas verliert, das man liebt.«
Meggy schluchzte. Nebel iges Mitleid lag in ihrem Blick.
Bernard wusste , dass sie fürchterlich unter seiner Rachsucht litt, dass sie ihn liebte und sich ein Leben mit ihm ausmalte, welches er ihr nicht bieten konnte. Er versuchte, ihre Gefühle zu ignorieren, aber in Wirklichkeit machten sie ihm Angst. Es war keine Liebe in ihm, zu sehr hasste er sich selbst. Er schwor sich, wenn er jemals gesunden würde, Meggy zu verlassen. Ohne ihn würde sie wieder frei atmen können. Er würde diesen Dreck und diese Stadt hinter sich lassen, vielleicht auf ein Schiff anheuern und in die Neue Welt segeln, wie es so viele taten, die es in dieser dreckigen Stadt nicht mehr aushielten.
»Führe meinen Befehl aus, Weib«, knurrte er.
Zufrieden und gleichzeitig erstaunt nahm er hinter Schmerzen wahr , wie sie aufstand und
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