Mystic Tales - Sammelband mit 4 Romanen (German Edition)
einen Penny mit der Faust auf die Nase hauen lassen, um seine Mut zu beweisen. Die andere Art Härte zu beweisen, nämlich sich von oben bis unten tätowieren zu lassen, hatte er allerdings abgelehnt.
Stunden, nachdem die Sonne untergegangen war, füllte sich der Raum mit plappernden , lärmenden Menschen. Sie kamen von den Märkten zurück, warfen die Bauchläden in die Ecke und fielen auf ihre Lager. Manch einer stopfte sich eine Pfeife, pustete das Opium in den Raum und sank bald selig lächelnd in sich zusammen.
Die Männer und Frauen waren seit morgens um drei Uhr unterwegs, hatte eine oder zwei Stunden Fußweg zu irgendeinem Markt unternommen, den ganzen Tag um ein paar Pennys gekämpft und wollten nun ihren Spaß haben. Einige machten sich auf in die Schankstube, um dort bei Schieb-den-Penny oder Wirf Drei das sauer verdiente Geld zu verlieren. Andere packten ihre Karten aus und spielten Cribbage .
Bernard kroch unter die Decke und betete. Gott im Himmel – es waren seit dem Degenstich doch nicht einmal vierundzwanzig Stunden vergangen.
Meggy wischte ihm mit einem feuchten Tuch die Stirn ab.
Wache Phasen lösten sich ab mit Alpträumen , und immer war der Schmerz da, ein teuflisches Pochen, das seinen ganzen Körper erfasst hatte.
Würde er sterben müssen?
Oder schlimmer noch - würde er seinen Arm verlieren?
Auf diese Frage antwortete Meggy nicht, aber ihre Augen sprachen deutliche Worte. Ja, er würde!
»Wann?«, wisperte Bernard.
»McPurs hat so was schon mal gemacht.«
Übelkeit stieg in Bernard hoch. »Gibt es keinen richtigen Arzt, der sich um mich kümmer t ?«
Der Bretterverschlag, der als Tür diente, wurde zur Seite geschoben. Dandy kam herein. Neben ihm trottete ein alter Kerl, den Bernard hier noch nie gesehen hatte.
»He, Berny! Deine Probleme sind erledigt. Ich hab‘ jemanden mitgebracht. ´N richtigen Doc.« Dandy baute sich vor Bernards Lager auf. Meggy verscheuchte die Neugierigen, die den hageren Alten umlagerten.
»Kann ich nicht bezahlen«, stöhnte Bernard.
»Kein Problem, Berny. Wir haben ’n Deal gemacht. Erzähl‘ ich dir später. Das is‘ Monsieur Margite.« Dandy grinste stolz.
»Sie schickt der liebe Gott«, seufzte Bernard. »Soeben habe ich noch ...«
»Pssst«, machte der Franzose ein entsprechendes Zeichen und kniete neben Bernard nieder. »Strengen Sie sich nicht an!«
»Er is‘ Spielzeugmacher«, sagte Dandy.
»Ich denke, er ist Arzt?« Bernard verstand nichts mehr.
»Ich war einmal Arzt, bevor ich ... Pech hatte«, sagte Monsieur Margite. »´eute mac he ich Spielzeug aus Papiermaché . Ich kann Ihnen, wenn Sie wollen, das größte Tier der Welt aus Papier und Papiermaché machen, wasserdicht und so, dass es nie zerbricht.«
Was mochte Dandy dem Kerl geboten haben? Kein Mensch mit ein paar Schilling in der Tasche betrat ein Haus in der Park Lane freiwillig.
Bernard schwirrte der Kopf , und wie ein wildes Tier überfiel ihn eine neue Schmerzwelle. Er keuchte und bäumte sich auf. Der Alte legte seine kalte Hand auf Bernards Stirn und nickte stumm.
»Eine Stichwunde, ’ aben Sie gesagt?« Er blickte zu Dandy hoch.
»Im Arm«, sagte Dandy.
»Oh, da ist ja der Verband.« Er hatte die Decke zurück geschlagen. »Lassen Sie mich das Mal‘eur sehen.«
Bernard stieß zischend den Atem aus. Verdammt, war sein Arm schon verfault?
»Sehr schlimm, Monsieur, sehr schlimm.«
»Nehmen ... Sie ... mir meinen ... Arm ab?«, keuchte Bernard.
Der Alte schwieg.
»Sagen Sie mir die Wahrheit, Mann!«
Der Alte runzelte die Stirn. »Die Leute sollen verschwinden.«
Einige m urrten, gehorchten dann aber doch.
»Sie bleibt«, wies Bernard mit seinem linken Arm auf Meggy.
Der Alte lächelte. »Oui.«
»Also, Doktor. Was wird aus meinem Arm?« Tränen schossen Bernard in die Augen. Sein Körper verkrampfte sich , und Nebel hüllten ihn ein.
»Warten Sie, Monsieur. Meine Augen sind nicht mehr die besten ... ich muss mir erst ein Bild machen. « Er tastete nach Bernards Puls.
Wo waren die Männer, die ihn festhalten würden, wenn die Säge seinen Knochen zerschnitt? Wer hatte Schnaps besorgt, um die schlimmste Pein zu betäuben? Konnte er d em Franzosen vertrauen? Was, wenn er nur ein alter Spinne r war, der in seiner Papiermaché welt verrückt geworden war? Brechreiz stieg in Bernard auf. Nein, er war nie ein Feigling gewesen, aber was war er wert ohne seinen rechten Arm? Er würde für den armseligen Rest seines Lebens ein Krüppel sein, mit einer eiternden
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