Mythica Bd. 5 - Göttin der Rosen
du Himmel und Erde trennst – Vater! Ich rufe dich bei deinem uralten Namen und bei dem, den ich durch mein Blut erworben habe. Jahrhunderte habe ich gelebt und nie zuvor etwas von dir erbeten, weder Anerkennung noch Macht, weder Liebe noch Akzeptanz. Aber heute berufe ich mich auf mein Geburtsrecht und bitte dich, mir die Macht zu verleihen, diese sterbliche Frau zu retten. Ihr Lebensfaden ist vor seiner Zeit durchschnitten worden – er ist noch nicht zu Ende.«
Die heilige Flamme flackerte, und dann erschien in ihrem Licht das Gesicht eines Mannes – alterslos, aber von Falten durchzogen, als wäre es von Zeit und Erfahrung in Stein gehauen. Überall hätte Asterius dieses Gesicht erkannt, denn es war ein Spiegelbild seines eigenen.
»Vater«, sagte Asterius und senkte den Kopf.
Der Titan nahm ihn nicht zur Kenntnis, sondern deutete auf Mikado. »Ist das die Sterbliche, die du retten willst?«
»Ja, das ist sie.«
»Sie ist Hekates Empousa, nicht wahr?«, fragte er weiter.
»Ja.«
»Dann wird ihre Rettung nur temporär sein.«
»Sie hat noch nicht die ihr zugeteilte Zeit gelebt. Es ist noch nicht Beltane«, erklärte Asterius.
»Wer hat ihr das angetan?«, fragte der Titan.
»Der Anführer der Traumdiebe, Hass. Ich will nicht, dass sie durch diese Kreatur sterben muss.«
Nun wandte Chronos seine Aufmerksamkeit doch seinem Sohn zu. »Hass hat sie getötet, und du möchtest, dass die Liebe sie rettet?«
Asterius’ Kiefer spannte sich an, aber er nickte. »Ja.«
»Liebe …« Chronos lachte leise. »Ich bin überrascht von deiner Schwäche, Wächter.«
»Ich habe gelernt, dass Liebe nur dann schwach ist, wenn sie selbstsüchtig ist«, erwiderte er, und die Herausforderung in seiner Stimme war unüberhörbar.
Nun war der Titan wirklich überrascht. »Du erinnerst mich an deine Mutter.«
»Wahrscheinlich deshalb, weil auch sie die Schwäche derer durchschaut hat, die selbstsüchtig lieben.«
Chronos runzelte die Stirn. »Ich bin es nicht gewohnt, beleidigt zu werden, vor allem nicht von jemandem, der meine Hilfe erfleht.«
»Ich wollte dich nicht kränken, ich habe nur die Wahrheit gesagt«, räumte Asterius ein.
»Trotzdem ermüdet mich dieses Gespräch.«
»Chronos! Verzeih mir. Ich wollte nicht …«
»Ruhe!« Die Flamme flackerte wild, und der Boden des Tempels bebte. »Ich bin noch nicht fertig. Ich gewähre dir deine Bitte. Du kannst einen Teil der Unsterblichkeit, die in deinem Geist lebt, mit der Priesterin teilen. Wohlgemerkt nur einen sehr kleinen Teil. Ich werde sie nur ein einziges Mal aus Hades’ Reich zurückholen. Aber nimm zur Kenntnis, dass du einen Preis für den Funken Unsterblichkeit zu entrichten hast, den du mit ihr teilst. Selbst wenn sie stirbt, wird sie dieses Stück deiner Seele in sich tragen. Du wirst dich nur vollständig fühlen, wenn sie bei dir ist und deine Seele vervollständigt. Wenn sie nicht mehr in diesem Reich wandelt, wird dein Herz leer sein und deine Tage von Einsamkeit erfüllt. Denke gut nach, bevor du dich entscheidest.«
»Ich habe mich längst entschieden. Mir war klar, dass ich einen Preis dafür bezahlen muss, wenn ich mir erlaube, sie zu lieben. Damals schon habe ich das akzeptiert. Und es stört mich nicht, es jetzt noch einmal für ihr Leben zu akzeptieren.«
»Nun gut, es ist dein Geburtsrecht, eine Gunst von mir zu erbitten, aber belästige mich nicht noch einmal. Du hast Hekate gewählt, und in Zukunft solltest du bei dieser Göttin vorsprechen, wenn du etwas möchtest.« Ohne ein weiteres Wort verschwand der Titan aus der Flamme.
Asterius schaute auf Mikado. Sein Vater hatte ihm die Fähigkeit verliehen, sie zu retten – aber wie? Er musste ihr ein Stück von seiner Unsterblichkeit abgeben – ein Stück seiner Seele. Auf einmal wusste er es. Langsam beugte er sich vor und berührte ihre Lippen mit seinen. Als er sie küsste, beschwor er sie zu leben – zu teilen, was er ihr darbot, und ihn erneut zu akzeptieren.
Mikado regte sich und seufzte sanft an seinem Mund, dann öffnete sie die Lippen, und ihr Kuss wurde tiefer. Als Asterius sich schließlich zurückzog, waren ihr Augen offen, und sie lächelte zu ihm empor.
»Sie lebt!«, rief Gii.
Lachend und weinend schlossen die Dienerinnen den Kreis und eilten zu ihrer Empousa. Mikki setzte sich auf und blinzelte verwirrt, denn sie wusste nicht, wo sie war und warum Asterius neben ihr kniete und vor den Augen der Elementare ihre Hand hielt. Sie schaute sich um. Sie waren in Hekates
Weitere Kostenlose Bücher