Mythica Bd. 5 - Göttin der Rosen
ich manchmal, wo ich bin.«
»In meiner Welt nennt man das ›in etwas eintauchen‹. Ich hab einmal einen Artikel darüber gelesen – es passiert vor allem bei Künstlern, Schriftstellern und Sportlern. Hat irgendwas mit den Endorphinen zu tun. Wenn man diesen Zustand erreicht, heißt das angeblich, dass man es richtig macht.«
Asterius brummte nur.
»Passiert dir das immer, wenn du malst?«
»Ja, normalerweise schon.« Er kniff die Augen zusammen, studierte sie, wandte sich dann wieder der Höhlenwand zu und zeichnete die geschwungene Linie ihrer Taille, Hüfte und ihres Beins.
Sie sah ihm zu und dachte an sein Talent, an die Schönheit, die zu erschaffen ihm so leichtfiel, obgleich er jahrhundertlang ein Ausgestoßener gewesen war. Bitte, Gii, halte Wort. Aber dann lenkte sie ihre Gedanken weg von dem Versprechen der Dienerin, denn sie befürchtete, Asterius könnte ihr Gesicht zu genau betrachten und ihre melancholischen Gedanken lesen.
Sie musste an ihn denken, wie er jetzt war, wie er vorhin gewesen war – leidenschaftlich, zärtlich, liebevoll und voller Überraschungen, genau wie die auserlesenen Gemälde, die er erschaffen konnte. Was sie daran erinnerte, dass …
»Asterius, wer ist die Frau, die du auf die Wand im vorderen Zimmer gemalt hast?«
Mitten in der Bewegung erstarrte seine Hand. Ohne Mikki anzusehen, antwortete er: »Das ist Pasiphea, meine Mutter.«
»Das habe ich mir schon fast gedacht«, sagte sie. Und so war es auch. Asterius fügte seinen Wandmalereien ihr Bild nicht auf eine Art hinzu, als wäre sie eine seiner Trophäen. So etwas würde er nie tun – er würde nicht einmal daran denken. »Sie ist sehr schön.«
»So habe ich sie in Erinnerung.«
Am liebsten hätte Mikki ihn gebeten, auch sie als eine Schönheit in Erinnerung zu behalten. Ihre Fehler zu vergessen und auch den Abschiedsschmerz, wenn sie nicht mehr da war, sich einfach daran zu erinnern, wie sehr sie sich liebten. Aber sie wusste, dass sie das nicht konnte, und hoffte, dass er ihr ihre Sterblichkeit verzeihen würde. Mikki schloss die Augen, aus Angst, dass sie mit ihren Gedanken herausplatzen würde, wenn sie ihn weiter anschaute –, dass sie alles gestehen und ihn anflehen würde, ihr zu helfen, einen anderen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden.
Irgendwann schlief Mikki ein. Das wusste sie deshalb, weil das Zimmer beim nächsten Mal, als sie die Augen aufmachte, viel dunkler war und Asterius neben ihr fest schlief. Eine Weile lag sie da und lauschte auf seine tiefen, regelmäßigen Atemzüge, dann stand sie vorsichtig auf und hüllte sich leise in den Chiton, den sie vorhin abgelegt hatte. Erst als sie die Spange an ihrer Schulter befestigt hatte, betrachtete sie die Höhlenwand – und ihr blieb die Luft weg. Er hatte sie als Göttin dargestellt! Sie musste sich dazu zwingen, einen Aufschrei der Überraschung zu unterdrücken. Er hatte sie schlafend gemalt, ein leichtes Lächeln auf den Lippen, als hätte sie einen schönen Traum. Ihre Haut schimmerte verführerisch, ihr Körper war verlockend und einladend. Und er hatte sie nicht auf seinem Felllager dargestellt, sondern auf einem Bett aus Rosenblättern – den Blättern der Mikado-Rose.
Sie wandte sich wieder zum Bett und sah ihn an. Am liebsten hätte sie ihn geweckt und auf der Stelle geliebt. Aber das konnte sie nicht riskieren, sie musste nach den Rosen sehen. Wenn mein Instinkt mich trügt, versprach sie sich, dann komme ich sofort zurück, wecke ihn, und dann lieben wir uns den ganzen Vormittag . Ohne ihn noch einmal anzuschauen, schlich Mikki barfuß und auf Zehenspitzen aus dem Zimmer.
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber im Osten wurde der dunkle Nachthimmel bereits heller. Bald würde die Morgendämmerung sie begrüßen. Das Gras war kalt und feucht unter ihren bloßen Füßen, als sie den Weg am Fuß der Klippe entlangging, der am Ende zu den Quellbädern emporführte, zu ihrem Balkon und dann hinunter ins Herz der Gärten. Mikki ließ ihre Gedanken nicht wandern, sondern eilte die Stufen hinauf und warf kaum einen Blick zu den dampfenden Bädern, denn sie wollte nicht daran erinnert werden, wie wunderbar es gewesen war, dort in Gesellschaft ihrer Dienerinnen im Wasser zu liegen, und wie sehr sie sich darauf gefreut hatte, das wieder zu genießen. Ihr Balkon war ebenso leer wie ihr Zimmer, aber im Kamin knisterte ein freundliches Feuer, und neben ihrem Bett brannte noch ein Leuchter mit mehreren Kerzen. Sie biss sich auf die Lippe und
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