Mythor - 068 - Traumland der Ambe
gelehrt? Welche Tiere bevölkern die Welt? Einmal möchte ich wieder den Duft von Blumen einatmen – kannst du ihn mir beschreiben?«
»Du willst mich nur verulken«, sagte ich verstört. »Vanga liegt dir zu Füßen – und du willst sagen, daß du deine Welt nicht kennst?«
Sie wirkte daraufhin traurig.
»Vanga ist groß, und ich bin nur klein und winzig. Ich verkörpere die Allmacht, aber ich übe sie nicht auch körperlich aus. Ich bin die Erste Frau von Vanga, ich verfüge über anderer Leben, aber nicht über meines. Es ist zu kostbar, als daß ich es selbst in die Hand nehmen dürfte. Ich habe unsterblich zu sein, darum darf ich nicht leben, ich darf nicht sterben. Ich bin das Schicksal der Welt, ich selbst habe keines.«
Allmählich begann ich Fronjas Lage zu verstehen. Sie war die Herrin von Vanga, aber die Zaubermütter schirmten sie von den Einflüssen ihrer Welt ab. Sie zogen viele Schutzkreise um sie, damit ihr kein Unheil widerfahren konnte, und raubten ihr so die Möglichkeit, sich als menschliches Wesen zu entfalten. Und je besser ich Fronja zu verstehen begann, desto größer wurde mein Mitleid für sie. Sie regierte die Welt, aber unter der Willkür der Zaubermütter, denen sie – obwohl zur Ersten Frau von Vanga erhoben – schutzlos ausgeliefert war. Was war das für eine Unsterblichkeit, die die persönliche Lebensentfaltung nicht mit einschloß? Eine solche Unsterblichkeit war eine schwere Last, eine furchtbare Strafe. Wie leid mir die Tochter des Kometen tat!
»Meine Träume sind von großer Bedeutung für den Lauf der Welt, sie zeigen Gefahren auf, weisen gangbare Wege und bieten Lösungen für Probleme an«, sagte Fronja. »Da ist zum Beispiel die Große Plage, die ich für die Welt kommen sehe. Noch weiß ich nicht, welcherart sie sein wird, von wo sie kommt und gegen wen sie sich richtet. Ich weiß nur, daß sie über die Welt kommen wird und kann in meinen Träumen davor warnen. So kann ich Einfluß auf die Geschicke der Menschen nehmen. Aber ich kann nicht einem Menschen helfen, der mir lieb ist. Und ich kann nichts für mich tun. Kannst du meine Einsamkeit verstehen, Ambe?«
Es schnürte mir die Kehle zu, ich konnte nichts sagen. In meinen Ohren war ein Rauschen, als würden wir in einer gewaltigen Flutwelle treiben, die jeden anderen Laut schluckte und uns beide dazu.
»Trotz allem habe ich mir eigene Träume bewahrt, die ich keiner anderen Kameradin als dir zu gestehen wage«, fuhr Fronja fort. »Du bist mir die liebste von allen. Dir verrate ich, was meine ungestillte Sehnsucht ist. Ich sehne mich nach…«
Fronja verstummte, sie wurde bleich.
»Wir sind belauscht worden«, sagte sie schließlich. »Ich weiß auch von wem. Die Zaem sieht es gar nicht gern, daß ich mich mit dir so gut verstehe. Sie ist es auch, die mir keinerlei Freiheiten gönnt und mich am liebsten ewig schlafen ließe. O, Ambe, sie wird alles unternehmen, um dich mir wegzunehmen.«
Sie umarmte mich und küßte mich wieder.
»Aber in den Träumen werden wir Zusammensein«, sagte sie wie zum Trost. »Die kann uns niemand nehmen.«
Fronja sollte recht behalten, was die Trennung betraf.
Als ich das nächste Mal bei der Tochter des Kometen vorsprechen wollte, teilte man mir mit, daß sie sich zur Ruhe begeben habe. Ich selbst wurde aufgefordert, den Hexenstern zu verlassen und in die Welt zurückzukehren.
In Erinnerung an Fronjas Worte war ich sicher, daß hinter diesem Ränkespiel keine andere als die Zaubermutter Zaem stecken konnte. Aber dann ließ Zahda mich zu sich rufen und eröffnete mir, daß sie mich in ihrem Regenbogen-Ballon auf dem Flug nach Norden mitnehmen würde. Erst an Bord der Zahdana eröffnete sie mir den Grund für meine Abberufung vom Hexenstern.
»Du sollst an Pryscas Statt den Wettstreit gegen Gaidel um die Nachfolge der Zuma fortführen. Ich kenne keine Hexe, die dieses Amtes würdiger wäre. Ich selbst werde dir den weißen Mantel anlegen, Ambe.«
»Was ist mit meiner Lehrmeisterin, ehrbare Mutter?« wagte ich zu fragen.
»Sie war schon sehr alt und darum den Belastungen dieses Kräftemessens nicht mehr gewachsen«, antwortete mir Zahda. »Ich habe mich mit Zaem besprochen, und sie war es, die dich als Nachfolgerin vorschlug. Sie denkt wohl, daß du zu unerfahren seist und Gaidel mit dir leichtes Spiel hätte. Aber ich vertraue dir, Ambe, und bin sicher, daß du es sein wirst, die schließlich in den Regenbogenmantel schlüpft.«
Also doch Zaem! dachte ich. Sicher hatte
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