Mythor - 068 - Traumland der Ambe
Scida. »Ihre scheinbare Offenheit dient noch dazu, uns zu verunsichern.«
»Wenn du recht hast, dann ist es nur gut, wenn sie sich ihrer Sache so sicher ist«, sagte Mythor. »Dann wird ihr ihre Überheblichkeit zum Verhängnis.«
»Seht! Da!« rief Gerrek. Er schob das Blattwerk vor sich mit seinen knorrigen Händen auseinander, so daß der Blick auf eine Lichtung frei war. Und darauf stand eine Laube aus Pflanzensäulen und einem grünen Kuppeldach, das sich über ein korbartiges Dornengeflecht spannte.
Mythor war von diesem Anblick wie gebannt.
»Sei vorsichtig, Mythor«, warnte Scida. »Wer weiß, ob nicht Aelgeri…!«
»Mythor!«
Kalisse brach taumelnd durch das Unterholz. Sie hatte das Schwert gezogen. Mythor griff nach Alton und stellte sich ihr entgegen. Aber Kalisse streckte ihm abwehrend die Eisenfaust entgegen.
»Nicht!« kam es gurgelnd über ihre Lippen, dann übergab sie sich. Sie blieb schwankend stehen. »Aelgeri hat mich vergiftet, vermutlich muß ich sterben. Letta und Jilko sind tot. Aelgeri hat sich ihre Köpfe geholt. Sie will auch eure Köpfe…«
Kalisse verstummte und brach zusammen. Lankohr war sofort bei ihr. Er sprang auf sie.
»Lankohr, hör auf!« verlangte Mythor.
»Ich will ihr doch nur helfen«, erwiderte der Aase, ohne in seiner Tätigkeit aufzuhören. »Das Gift muß raus.«
Kalisse schrie und wand sich zuckend. Lankohr wich geschickt ihrem um sich schlagenden Schwertarm und ihrer Eisenfaust aus.
»Sie wird leben«, sagte er zuversichtlich und knetete ihren Magen.
Endlich beruhigte sich die Amazone.
Mythor wandte sich wieder der Pflanzenlaube zu. Es sah ganz so aus, daß hier Ambes dritte Puppe untergebracht war. Mythor wollte sich Gewißheit verschaffen und trat näher. Er erreichte die Öffnung der Hecke und blickte hinein.
»Wahrhaftig«, entfuhr es ihm. »Ambes dritte Puppe.«
Er wollte sich wieder abwenden und zu seinen Kameraden zurückkehren, aber da war er bereits in den Bann der Puppe geraten und kam nicht mehr frei. Hinter den leeren Augenhöhlen brauten sich farbige Nebel zusammen und festigten sich zu Formen, die immer deutlichere Umrisse bekamen, bis sich schließlich das Bildnis eines zauberhaft schönen Mädchens herauskristallisierte.
Um Mythor war es augenblicklich geschehen. Selbst wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, sich dem Einfluß von Ambes Puppe zu entziehen, hätte er es nun nicht mehr gewollt.
Denn er sah Fronja, die Tochter des Kometen vor sich.
Sie sagte:
»Kannst du meine Einsamkeit verstehen, Ambe? Ich habe viele Kameradinnen in Vanga mit denen zusammen ich träume. Sie bedeuten mir viel, aber sie können mir nicht alles sein. Wie bin ich froh, daß ich nun auch mit dir wieder träumen kann. Du bist mir die liebste von allen. Und doch habe ich noch eine ungestillte Sehnsucht. Ich sehne mich nach…«
6.
PUPPE 3 erzählt:
Es ist so einfach, das alte Leben abzustreifen und in ein neues zu schlüpfen, so einfach wie das Kleid zu wechseln. In meinem ersten Leben trug ich das Kleid der Häßlichkeit, ein unfertiges Kleid aus einem Stoff mit Namen Furcht und Unsicherheit. Ich habe es abgelegt. Im zweiten Leben kleidete ich mich mit Frohsinn und Unbekümmertheit, aber dieses Kleid hieß auch jugendlicher Unverstand, kindliche Einfalt. Das dritte Kleid ist hochgeschlossen, fest zugeschnürt, sitzt eng wie ein Korsett, es läßt mir weniger Spielraum, es hat einen strengen Schnitt, der mir Würde verleiht und mir das Rückgrat stützt. Aber etwas Bewegungsfreiheit läßt es mir doch, ich kann darin auch unbekümmert, schelmisch und fröhlich sein. Es hat mich reifer und abgeklärter gemacht.
Ich glaube, ich habe mich gefunden.
Und ich habe zurück zu Fronja gefunden!
Ich bin am Hexenstern geblieben, hier aus meiner Puppe geschlüpft, die man, nachdem ich mit ihr ein kurzes Zwiegespräch halten durfte, mit der Goldsegel nach Gavanque gebracht hat. Von Prysca habe ich keine Nachricht, aber Fronja hat mir versprochen, mir von dem Wettstreit zwischen ihr und Gaidel zu erzählen.
Fronja darf natürlich keine Partei ergreifen, sie steht über den Dingen. Aber ihre Träume sind frei, und darin hat sie mir verraten, daß sie auf Pryscas Seite ist, weil Prysca der Zahda dient, die wiederum sehr gut zu Fronja ist.
Das sind nicht alle Zaubermütter. Fronja ist darob manchmal unglücklich und leidet sehr… Aber das verriet sie mir nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Sie ließ mich auch so manches andere träumen, das sie bewegt und
Weitere Kostenlose Bücher