Mythor - 084 - Stadt der Amazonen
grimmigem Gesichtsausdruck, »also noch einmal von vorn.«
Abrupt erhob sie sich von ihrem mit rotem Samt ausgelegten Sessel, durchmaß die sieben Mannslängen bis zum Fenster mit wenigen Schritten und blieb am Fenster stehen, ihren beiden Gästen den Rücken zugekehrt. Die Unhöflichkeit war beabsichtigt.
Die Matria Sogia verschränkte die Arme hinter ihrem Rücken und trieb die Unhöflichkeit auf die Spitze, indem sie auch aus dem Fenster hinaus sprach.
Auf dem siebenstufigen, künstlich aufgeschütteten Berg im Nordwesten Spayols erhob sich ihr Palast, von dem aus sie regierte. Ihr war die gesamte Insel Ganzak Untertan, aufgeteilt in zehn Lehen. Unweit des Palasts begann der Hafen, der stets mit Schiffen gefüllt war, und die Matria konnte einige hoch aufragende Schiffe ebenso erkennen wie die Lumenia, die heute versteigert werden sollte und an der sie nicht geringes Interesse hatte. Um zum Palast zu kommen, hatten die beiden Gäste mit ihrem Gefolge die sieben Stufen erklimmen und die sieben Tore durchschreiten müssen; das der Weisheit, das der Gerechtigkeit, der Einigkeit, Untertänigkeit, Treue, Ehre und das des Stolzes.
Zumindest die ersten vier Tore, dachte die Matria grimmig, hatten die Gäste nicht an ihre diesbezüglichen Tugenden ermahnen können. Immer noch standen sie sich feindlich gegenüber, und daran würde sich leider wohl auch nicht allzu schnell etwas ändern. Selbst jetzt nicht, daß die Matria Nareins und Horsiks zu sich geladen hatte, um an einem gemeinsamen Tisch den Streit zu schlichten.
Eine Aufgabe, die fast schwerer war, als die anderen Domänen zu überwachen.
Sogia sah hinüber zum Hafen, dann weiter nach links, über die Häuser und Straßen hinweg. Die Feuer des Leuchtturms flackerten in der Morgendämmerung. Dahinter erhoben sich die Klippen des Bruchland-Riffs entlang der Küste, Sogias anderes Sorgenkind. Es zog sich an der gesamten Nordküste von Ganzak entlang und sollte der Fama nach vor fünfhundert Wintern entstanden sein, als die Zaubermutter Zaem das legendäre Reich Singara in den Fluten des Meeres versinken ließ. Dabei brach auch ein Teil von Ganzak ab - und so war das Bruchland-Riff längs der teilweise recht steil abfallenden und felsigen Küste entstanden. Auf diesen schräg aus den Fluten des Meeres aufragenden Landmassen, an denen so manches Schiff trotz Leuchtturm bei Nacht und Nebel zerschellt war, fanden sich auch heute noch die Überreste alter Siedlungen und Städte. Und sie waren auch heute noch bewohnt - von Kaperweibern und anderem Gesindel, das häufig genug nicht erst abwartete, bis ein Schiff auf das Riff lief, sondern manches Mal auch Schiffe direkt angriffen. Und zuweilen wagten sich sogar welche aus dem Alten Volk des versunkenen Singara auf das Riff.
Sie waren beliebte Jagdobjekte und wanderten, wurden sie erhascht, stets in die Arena. Tritonen waren begehrt und brachten einen guten Preis.
Die Matria sah keinen Grund, die Tritonen-Jagd zu unterbinden. Sollten sie doch im Meer bleiben. Wer sich nach Ganzak wagte, war an seinem Schicksal selbst schuld.
»Ich stelle also fest«, sagte die Matria so laut, daß sie gerade noch verstanden werden konnte, »daß eure Fehde, deren Ursprung ihr selbst vergessen habt, wieder einmal einen ihrer Höhepunkte erreicht. Wollt ihr einen Krieg entfesseln?«
Die beiden Amazonen, die zehn Schritte vor ihrem Thronsessel zu ebener Erde standen, während der Thron sich auf erhöhtem Podest befand, schwiegen. Am Fenster fuhr Matria herum. Ihr Blick ging durch den Saal, durch dessen Kristallfenster die ersten Strahlen der Morgensonne fielen. Die Fenster waren weit geöffnet; frische Luft wehte vom Hafen herüber und brachte Salzgeruch mit. Rechts und links des samtbezogenen Sessels standen Kriegerinnen der Matria mit hochgerichteten Schwertlanzen. Obgleich sie zu kämpfen verstanden, waren sie mehr Zierde denn Schutz, denn im Thronsaal wagte es niemand, zur Waffe zu greifen. Seit tausend Sommern hatte es keinen Aufstand wider die Matria mehr gegeben.
»Antwortet!« verlangte Sogia.
Die beiden Amazonen rührten sich immer noch nicht. Sogia fixierte sie einzeln nacheinander.
Da war Skasy von Burg Narein, Amazonenführerin und Kriegsberaterin der Swige von Narein. Sie hatte den Sommer ihres Lebens bereits sichtlich überschritten, mochte sich im fünfzigsten Jahr befinden und war breit in den Schultern mit schmalen Hüften und von sehniger Muskulatur. Hart und knochig war ihr Gesicht mit den stark hervortretenden
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