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Mythos

Mythos

Titel: Mythos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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gefoltert? Warum … Plötzlich wurde ihr klar, dass sie vor lauter Angst nicht ein einziges Mal um Hilfe gerufen hatte. Sie hatte völlig die Nerven verloren, war kopflos davongerannt.
    Sie bat den Fahrer, sie zur nächsten Polizeistation zu fahren. Der Mann nickte nur. Hinter der Brücke Isabel II. bog er Richtung Süden ab in eine schmale Straße am Fluss entlang. Vor einem flachen, schlichten Ziegelbau ließ er sie aussteigen.
    Das Comisaria del Distrito Triana stand oberhalb einer Kaimauer des Guadalquivir, eingerahmt von Bäumen voller Orangen. Über dem Eingang bewegte sich die Landesfahne träge in der sanften Brise, die vom Fluss herauf wehte.
    Tilly lehnte sich an eines der Absperrgitter, die den Bürgersteig von den Parkplätzen trennte. Sie wedelte sich Luft unter ihre schweißgetränkte Bluse und versuchte, zu Atem zu kommen. Sie musste sich beruhigen, bevor sie zur Polizei ging. Sonst würden die glauben, sie sei betrunken oder hysterisch. Hysterisch? Sie lachte auf. Himmel, sie war hysterisch. Völlig durchgedreht.
    Wieder tauchte das Bild von Belotti vor ihr auf. Die Beine drohten, unter ihr nachzugeben. Sie wankte zu den Tischen einer kleinen Cruzcampo-Bar auf der anderen Straßenseite hinüber und ließ sich auf einen der Stühle fallen. Wieder stieg Übelkeit in ihr auf. Eine junge Frau kam aus der Bar herüber. Ohne nachzudenken, bestellte Tilly ein Bier.
    Über die Mauer hinweg, die die Straße vom Kai trennte, konnte sie am anderen Ufer das Rund des Teatro de la Maestranza erkennen. Dahinter ragte die von Scheinwerfern angestrahlte Giralda in den nächtlichen Himmel. Hier saß sie, betrachtete die Skyline Sevillas und trank ein Bier, anstatt in die Polizeistation zu gehen und den Mord zu melden, dessen Zeugin sie gerade geworden war. Ganz klar, sie war nicht bei Sinnen. Wieder stieg ein hysterisches Lachen aus ihrer Kehle.
    Warum war der Mönch gefoltert worden? Konnte das mit den Dokumenten zusammenhängen, die er entdeckt hatte?
    Belotti war im Archivo General ziemlich laut gewesen. Hatte jemand mitgehört und beschlossen, über den Mönch an die Kopien zu kommen? Hatte er die Geschichte vom Schatz herumerzählt? Er hatte immerhin zwei Tage Zeit gehabt, die Sache zu verbreiten. Und um die Dokumente im Archiv zu finden, hätte man schon genau wissen müssen, wonach man suchen musste. Da wäre es auf jeden Fall erheblich leichter gewesen, Belotti zu fragen oder ihm gleich die Kopien des Derrotero wegzunehmen. Vielleicht hatte der Mönch sogar verraten, wie man die Papiere im Archiv finden konnte. Aber die Kopien hatte der Mörder nicht finden können.
    Denn die hatte sie, Nora Tilly.
    War es dem Fremden darum gegangen herauszubekommen, wer die Kopien hatte? Und hatte der Mönch sBelder Möie verraten, bevor sein Herz stehen geblieben war? Und wer war so wahnsinnig, für die Dokumente über Leichen zu gehen?
    Tilly trank einen weiteren Schluck Bier. Ein Tropfen rann ihr aus dem Mundwinkel und den Hals hinunter. Sie verschluckte sich und prustete das Bier wieder aus. Die Ellbogen auf die Knie gestützt beugte sie sich vor und barg ihr Gesicht in den Händen.
    Wie viel hatte der Mönch verraten, bevor er gestorben war? Kannte der Mann ihren Namen? Vielleicht wusste Belottis Mörder also schon, wer seine Konkurrenz um den Schatz war und wo sie wohnte.
    Ein kühler Windhauch wehte vom Fluss herauf. Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper.
    Vielleicht war es ja auch um etwas ganz anderes gegangen. Und wenn sie jetzt zur Polizei ging, dann würde sie auf jeden Fall in Zusammenhang mit dem Tod Belottis gebracht. Falls dieser Killer bisher noch nicht wusste, wer sie war und was sie gesehen hatte, dann würde das Risiko steigen, dass er alles erfahren würde.
    Und wenn die Polizei jetzt zu Belottis Wohnung fahren würde – was würde sie dort finden? Einen Mann, der sich die Finger verbrannt hatte und an einem Herzinfarkt gestorben war? Würde man sie überhaupt ernst nehmen?
    Gerade noch war ihr völlig klar gewesen, dass sie zur Polizei gehen musste. Jetzt war sie sich nicht mehr so sicher. Bestimmt würde bald jemand Belotti finden und seinen Tod der Polizei melden. Ermittlungen würden auch ohne sie in Gang kommen. Der einzige Vorteil, den die Polizei ihr bieten könnte, wäre Personenschutz. Doch sie bezweifelte, dass sie den tatsächlich erhalten würde. Und würde sie als Zeugin vielleicht sogar für längere Zeit in Sevilla festgehalten?
    Sie sprang auf und ging an der Kaimauer auf und ab. Was

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