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Mythos

Mythos

Titel: Mythos
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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sollte sie tun, verdammt? Belotti konnte sie nicht mehr helfen. Aber was wäre das Beste für sie selbst?
    Sie blieb abrupt stehen. Wenn es tatsächlich um diese Dokumente ging, dann hatte sie Konkurrenz. Dann gab es jemanden, der die Sache sehr ernst nahm und der keine Skrupel hatte, über Leichen zu gehen. Sie stützte sich mit zitternden Armen auf der niedrigen Kaimauer ab. Denk nach, sagte sie sich. Denk nach.
    Sie musste ihre Sachen aus ihrem Apartment holen und verschwinden! Und die Polizei … nein, die würde sie nicht informieren. Was hätte sie schon sagen können?
    Aus dem Restaurant, über dem ihr Apartment lag, wehte ein Geruch, der ihr unter anderen Umständen verlockend erschienen wäre. Aber Essen war das Letzte, an das sie jetzt denken konnte. Sie spähte in den kleinen Vorhof zwischen den Balkonen und Erkern des Gebäudes. Der Weg zwischen den Blumenkübeln war leer.
    Sie huschte zum Eingang. Dann war sie in der Wohnung. Sie hatte die Zimmer möbliert gemietet. Alles, was wichtig war, passte in den Rucksack.
    Sie packte den Laptop in eine Umhängetasche und stopfte die Dokumente aus dem Indienarchiv und ihre Übersetzung hinterher.
    Erst als sie auf der Evangelista in ihrem Mietwagen saß, fühlte sie sich halbwegs sicher. Sie würde in ein Hotel ziehen. Das war teuer. Aber sicherer.
    Hoffentlich.
    Mittwoch, 3. Juni, Fort Pierce, Florida, USA
    Völlige Schwerelosigkeit. Ein sanftes, körperloses Schweben. Davon hatte Robert York schon als Kind geträumt. Nicht vom Fliegen. Nein, in seinen Träumen war es nicht darum gegangen, sich vom Boden zu lösen oder die Welt von oben zu sehen. Es war um die Leichtigkeit gegangen, die seinen Traumkörper erfüllte. Um das sanfte Steigen und Sinken.
    Er hatte zwei Möglichkeiten gesehen, seinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Eine war, Astronaut zu werden. Aber die Chancen, in die Schwerelosigkeit der Erdumlaufbahn geschossen zu werden, waren natürlich nicht gerade groß.
    Also hatte er die zweite Möglichkeit gewählt. Tauchen.
    Und diese Entscheidung hatte zusammen mit einem weiteren Ereignis sein Schicksal bestimmt. 1979 war der Hurrikan Davidt wrrikan über die Karibik gefegt. In der Dominikanischen Republik hatte er fast 2000 Menschen getötet. Besonders erschüttert hatte York ein Bericht aus der Stadt Padre las Casas, wo gerade jene Menschen gestorben waren, die in der Kirche des Ortes Schutz gesucht hatten.
    Am Tag darauf hatte York am Strand von Vero Beach eine verkrustete silberne Münze entdeckt, ein Acht-Reales-Stück, ein Piece of Eight. Es musste von der spanischen Flotte stammen, die 1715 hier untergegangen war.
    Nach Hurrikan David waren ihm zwei Dinge klar geworden. Er wollte nach versunkenen Schätzen suchen. Und er würde sich nur noch auf sich selbst verlassen.
    Das Wasser war relativ klar. Die Sichtweite lag bei etwa 15 Metern. York legte sich flach auf den Bauch und ließ sich entspannt treiben. Der Atlantik war hier, keine 200 Meter vor der Ostküste Floridas nördlich des Fort Pierce Inlet, etwa vier Meter tief. Er konnte durch die Taucherbrille erkennen, dass unter ihm etliche Pflanzen und Tiere den hügeligen hellgrauen Boden aus Sand und zermahlenen Muschelschalen bevölkerten. Die langen, schmalen Blätter der Braun-, Rot- und Grünalgen bewegten sich synchron in der leichten Strömung hin und her. Es war, als winkten ihn 1000 Hände herab. Dazwischen saßen Krusten von hellen Steinkorallen und einige der an Wespennester erinnernden gelben Loggerhead-Schwämme.
    Das Wasser hier an der Oberfläche war angenehm warm. Dort unten würde es etwas kühler sein. Ein Fisch, vielleicht einen halben Meter lang, schwamm unter ihm hindurch. Ein Red Snapper. Bei Sportfischern sehr beliebt.
    Vor mehr als 20 Jahren war er genau hier zum ersten Mal zu einem Schiffswrack hinabgetaucht. Es war für ihn wie ein Initiationsritus gewesen.
    York holte Luft durch den Schnorchel und tauchte hinab. Während er sich mithilfe der Flossen schnell dem Boden näherte, entfaltete sich vor ihm die ganze Vielfalt der Flora und Fauna. Die Zweige bläulicher Hydrozoen reckten sich aus dem Algenteppich hervor. Sie erinnerten mehr an Farne als an Nesseltiere. Rotbraune Korallenstöcke hoben sich wie große, poröse Schädeldecken aus dem Boden. Dort, wo der Boden besonders steinig war, hockten Pfauenalgen und streckten ihre verdrehten hellen Blätter in die Höhe.
    Ein blaugrauer Franzosenkaiserfisch schwebte heran, so lang wie Yorks Unterarm. Die Ränder seiner
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