Nach dir die Sintflut
Margaret.
»Es wird schon nicht wegfliegen«, sagte Stewart. Trotzdem fuhr er langsam. Sie hatten das Ortseingangsschild mit der Anwohnerzahl kaum hinter sich gelassen, als sein Handy klingelte. Stewart warf einen Blick auf das Gerät. Margaret beobachtete sein Gesicht.
»Das ist sie. Ich weiß es«, sagte sie.
»Na und?«
»Geh nicht ran«, sagte Margaret und versuchte, Stewart das Handy aus der Hand zu nehmen.
»Sie hat ihre Schwester verloren!«, sagte Stewart und hielt das klingelnde Handy so weit wie möglich von Margaret weg.
»Stimmt«, sagte Margaret und ließ die Hände in den Schoß sinken. »Du hast Recht. Entschuldige. Geh ran.«
Stewart nickte. Er lenkte den Truck auf die Seitenspur und hielt an.
»Rebecca?«, sagte er zu seiner Frau, die er seit drei Jahren, sechs Monaten und einem Tag nicht gesehen hatte.
Stewarts Begegnung mit seiner zukünftigen Ehefrau war nicht einem Zu-, sondern einem Unfall geschuldet. Er war bei dem Versuch, einen übermäßig beladenen Einkaufswagen über einen vereisten Parkplatz zu schieben, ausgerutscht. Der Einkaufswagen war auf eine Reihe von geparkten Autos zugerollt. Auf dem gefrorenen Untergrund wurde er immer schneller. Der flach auf dem Boden ausgestreckte Stewart schätzte, dass der Wagen entweder in einen verrosteten Ford Tempo oder einen kirschroten Karmann Ghia krachen würde.
Zu seiner eigenen Überraschung hoffte Stewart, es würde den Karmann Ghia treffen. Er hatte keine Erklärung dafür. Rollte der Einkaufswagen gegen den Ford, würde die Stoßstange die Wucht des Aufpralls abfangen, eine Kollision mit dem Karmann Ghia hingegen würde das rechte Rücklicht zerstören. Stewart schaute zu, wie der Einkaufswagen, scheinbar mit einem eigenen Willen ausgestattet, einen Schlenker nach links machte und in den Karmann Ghia krachte. Das Rücklicht barst wie vorhergesagt.
Stewart stand auf und schlurfte zu seinem Einkaufswagen. Er ging in die Hocke, um den Schaden zu begutachten, als ein Schatten über sein Gesicht fiel. Er hob den Kopf und sah Rebecca, die auf ihn hinunterschaute.
»Ich hatte einen kleinen Unfall«, sagte er. Später kam er zu der Einsicht, dass es sich bei diesen Worten um die schlechteste Gesprächseröffnung in der Geschichte der Liebesanbahnung handelte.
»Das sehe ich.«
»Ich kann das in Ordnung bringen.« Er blinzelte hinauf, sah Rebecca in die Augen und fühlte ihre Zweifel. Er schlussfolgerte nichts, er bildete sich nichts ein, und er versetzte sich auch nicht in ihre Lage - er konnte es tatsächlich fühlen. »Ehrlich, ich bin sehr geschickt«, sagte Stewart, und wie zum Beweis zog er seine Visitenkarte heraus.
»Reparaturen aller Art«, las Rebecca. »Beeindruckend.«
Ihre Stimme klang eisig, aber Stewart wusste - nein, er fühlte -, dass sie ihn eigentlich ganz anziehend fand. Immer schon hatte er Probleme damit gehabt, das Verhalten von Frauen zu deuten. Aber diese hier schien nicht in der Lage zu sein, ihre Gefühle vor ihm zu verbergen, was sie sehr interessant machte. Außerdem hatte sie lange, wohlgeformte Beine, die sie nicht einmal jetzt, im tiefsten Winter, in einer Hose oder unter einem langen Rock oder einem Parka versteckte, nein, sie trug eine schwarze Strumpfhose und elegante Stiefel.
»Sie müssen mir Ihre Telefonnummer geben«, sagte Stewart. Als sie ihn um eine zweite Visitenkarte bat, auf deren Rückseite sie ihre Nummer kritzelte, realisierte er, dass ihre Ungeduld nur gespielt war.
Das Ersatzrücklicht war teurer, als Stewart gehofft hatte, aber drei Tage später kündigte er seinen Besuch telefonisch an und ging, den Werkzeugkasten in der Hand, zu Rebeccas Haus. Er entdeckte den Karmann auf der Straße und machte sich gleich an die Arbeit. Er hockte neben der Stoßstange, als er einen Schatten über sich spürte.
»Guten Morgen«, sagte er.
»Hallo. Machen Sie das bitte ordentlich.«
»Ja.«
»Vergessen Sie nicht, ich vertraue Ihnen kein bisschen«, sagte sie. Stewart fühlte, dass das Gegenteil der Fall war.
Er fragte sich nicht, warum er die Gefühle dieser Frau so
mühelos lesen konnte. Stewart wunderte sich fast niemals. Das war eines seiner besonderen Talente. Ein anderes war, dass er fast alles nachbauen oder reparieren konnte. Es war, als könne er hören, wie die Einzelteile zusammengesetzt werden wollten. Sie kommunizierten nicht direkt mit ihm, jedenfalls nicht mit Worten, aber irgendwie ließen sie ihn wissen, was zu tun war. Der unwiderlegbare Beweis waren die Autos, die er
Weitere Kostenlose Bücher