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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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überstehen.
    »Wir wissen, dass du bloß ’n harmloser Spinner bist, der sein Zimmer angekokelt hat«, sagte O’Carroll. Er nahm die Mütze ab und kratztesich am Kopf. Seine rotblonden Haare waren an der Stirn schütter und entweder verschwitzt oder mit Brillantine zurückgekämmt.
    Wilbur senkte den Kopf. Er hasste sich, weil er die Idee, den Kanister aus der Garage zu holen und das Benzin im Zimmer zu verschütten, nicht in die Tat umgesetzt hatte. Nicht einmal Feuer legen konnte er. Das nächste Mal würde er die Sache besser planen.
    »Ich hoffe, du hast keine Streichhölzer mitgebracht«, sagte O’Carroll und sah Wilbur ernst an. Als Wilbur den Kopf schüttelte, lachte O’Carroll. »Na dann bin ich ja beruhigt.« Er setzte die Mütze wieder auf und schlenderte den Gang hinunter. »Man sieht sich!« rief er, ohne sich umzudrehen, und bog um eine Ecke.
    »Also, dann wollen wir mal«, sagte Foley. Er erhob sich ächzend, warf die leere Sprudelflasche in den Abfalleimer neben dem Ofen und nahm einen Schlüsselbund aus der Uniformjacke. Mit einem der Schlüssel sperrte er die Tür zu und setzte sich dann langsam in Bewegung.
    Wilbur ergriff den Koffer und folgte dem Mann. Als sein Blick aus einem der Fenster fiel, sah er eine Taube, die durch den Nebel flog und auf dem Dach eines Turms landete.
     
    Im Schlafraum standen siebenundzwanzig Betten. Fünf Lampen mit emaillierten Schirmen hingen von der Decke. Durch drei Fenster in der Außenwand fiel Tageslicht auf die Bodenplanken, die beinahe schwarz waren und glänzten. Unter jedem Bett stand ein Nachttopf mit Deckel. An der schmalen Stirnwand, die wie die übrigen weiß verputzt war, hing ein mannsgroßes Kruzifix. Foley hatte unterwegs ein Kissen, zwei Laken und zwei Wolldecken besorgt und warf alles auf eins der beiden Betten, die der Tür am nächsten standen. Wilbur musste seine Schlafstatt selber machen, und Foley sah ihm dabei zu. Es dauerte eine Weile, bis Wilburs Bett aussah wie die anderen und Foley zufrieden war. Am Fußende von jedem Bett stand eine Holztruhe, auf deren Deckel eine Nummer gemalt war, in Wilburs Fall eine 73. In diese Truhe legte Wilbur die Sachen aus seinem Koffer. Dann ging er hinter Foley her zu den Waschräumen, wo er sich die Duschen und Toiletten zeigen und die Regeln erläutern ließ.
    Nach dem Rundgang, zu dem ein Blick in den Speisesaal und den Hofgehörte, nahm Wilbur im Materialraum im Erdgeschoss zwei Paar graue Socken, zwei weiße Unterhosen und Unterhemden, eine moosgrüne Arbeits- und eine schwarze Sonntagshose, einen grauen Wollpullover, ein moosgrünes und ein weißes Hemd, eine schwarze Krawatte, ein Handtuch, einen Waschlappen, ein Stück Seife, eine Zahnbürste und eine Tube Zahnpasta entgegen. Die Toilettenartikel waren in einem Leinenbeutel, der ebenfalls die Nummer 73 trug. Foley sah sich Wilburs schwarze Lederschuhe an, das letzte Weihnachtsgeschenk von Pauline und Henry, und befand sie für gut genug. Er drückte ihm eine kleine Holzkiste in die Hand, in der sich Schuhwichse, zwei Bürsten und ein gefalteter Stofflappen befanden. Der Stofflappen war von einem bleichen Grün und zweifellos ein Stück aus einer ehemaligen Arbeitshose. Die schwarze Schuhwichse in der flachen Metalldose verströmte einen kräftigen Geruch, eine Mischung aus Tabak und Motorenöl.
    »Direktor Moriarty sieht dir immer zuerst auf die Schuhe und dann in die Augen«, sagte Foley. »Er sagt, wer schmutzige Schuhe hat, kann kein sauberes Leben führen. Jedenfalls so was in der Art.«
    Wilbur erinnerte sich nicht, worauf Moriarty nach dem Betreten des Büros zuerst gesehen hatte. Er rang sich ein Lächeln ab und nickte. Eine Weile standen sie schweigend da, als würde Moriartys Weisheit im Raum nachhallen. Dann gingen sie endlich weiter. Foley zeigte und erklärte Wilbur alles geduldig und trug sogar den Kleiderstapel in den Schlafraum, als der Junge unter der Last zu taumeln begann. Ging Wilbur hinter dem Riesen her, war dessen Rücken ein dunkelblaues Meer, das sanft wogte und aus dem die keuchenden und rasselnden Geräusche von Ungeheuern drangen.
     
    Bis es Zeit zum Mittagessen war, musste Wilbur in der Küche helfen. Foley hatte ihn der Köchin Geraldine Dunne vorgestellt und den vier Burschen, die ihr halfen, geraten, den Neuen nicht zu schikanieren. Wilbur war sich vorgekommen wie am ersten Tag an der Schule in Letterkenny, wo ihn die Kinder, die ihn nicht kannten, angestarrt hatten. Zum Glück schickte ihn Geraldine, eine für

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