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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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auf und verließ den Raum. Seine Mutter, eine dicke Frau, die ein schwarzes Kleid und einen schwarzen Hut trug wie zu einer Beerdigung, weinte und folgte ihrem Mann. O’Carroll tastete Tommie nachlässig ab und begleitete ihn zur Tür, wo Foley den Jungen in Empfang nahm. Dann setzte er sich wieder auf seinen Stuhl und kämpfte gegen den Schlaf.
    Oft redete Henry während der gesamten Besuchszeit von den Plänen, die er für seine Zukunft schmiedete. Er hatte das Auto verkauft und sein Bankkonto aufgelöst und sonst alles, was ihm gehörte, im Haus gelassen. Die Anzüge, Krawatten und Schuhe brauche er nicht mehr, sagte er, die könne Pauline ihrem Bruder geben. Immer wenn er den Namen seiner Frau aussprach, machte er danach eine lange Pause, während der er mit zusammengepressten Lippen leicht den Kopf schüttelte und sich die Handrücken kratzte. Er wolle eine Weile in der alten Mühle bleiben und dann nach Dublin gehen, um Geologie zu studieren. Aufgeregt redete er davon, wie er nach dem Studium im Auftrag von Minengesellschaften und Erdölfirmen in fremde Länder reisen würde, um nach Bodenschätzen zu suchen. An einem Sonntag versprach er, Wilbur als seinen Assistenten mitzunehmen, am nächsten, aus jedem Land eine Karte zu schicken. Einmal war er euphorisch und erzählte von den Büchern, die er gekauft hatte, ein andermal bedrückte ihn der Gedanke, Irland zu verlassen.
    Wilbur hörte einfach nur zu. Sollte jemand anders Henry erklären, dass er möglicherweise nicht mehr jung genug für ein Studium sei und sicherlich zu alt, um eine Stelle als Geologe zu bekommen. Er wollte ihm nicht beibringen, dass niemand auf einen weltfremden neunundfünfzigjährigen Mann wartete, der sich einen Bubentraum verwirklichen wollte. Er hörte einfach zu und nickte, und wenn Henry lächelte, lächelte er zurück.
    Am Ende der Stunde, die sie hatten, blickte Henry auf die Stelle an seinem linken Handgelenk, wo früher die Uhr gewesen war und wo die Sonnenbräune den hellen Umriss fast zum Verschwinden gebracht hatte. »Also«, sagte er, »ich geh dann besser mal.« Er blieb einen Moment unschlüssig sitzen, legte schließlich die Handflächen auf die Oberschenkel und stand auf.
    »Ja«, sagte Wilbur und erhob sich ebenfalls.
    O’Carroll beobachtete, wie Wilbur und Henry Conway sich die Hand schüttelten. Wilbur musste am Tisch bleiben und darauf warten, dass O’Carroll ihn kontrollierte und von der Liste strich. Er stand da und sah Henry nach, wie er langsam den Raum verließ, fahrig und leicht gebückt und ein ausgebranntes Feuer mit sich schleppend.
     
    Am Tag vor der Eröffnung des Kraftraums hielt Direktor Moriarty eine Rede. Wie immer wartete er damit bis nach dem Abendessen, und wie immer stand er dazu zwischen den beiden Stahlsäulen vor dem Durchgang zur Küche. Er trug einen dunkelbraunen Anzug mit Weste, eine schwarze Krawatte und schwarze Schuhe. Er sah zufrieden aus, aber auch müde. Einige Jungen witzelten, der Direktor sehe seit der Hochzeit so mitgenommen aus, weil ihm seine sexsüchtige Frau jede Nacht das Äußerste abverlange.
    Moriarty betonte erst, wie stolz er auf alle sei, die an einem der Projekte beteiligt waren, einerlei, ob es sich dabei um Kultur oder Sport handle. Er lobte noch einmal die Jungen, die aus der ehemals kümmerlichen Büchersammlung eine ansehnliche Bibliothek gemacht hatten und mit ihrem Einsatz entscheidend dazu beitrugen, der geistigen Bildung in Four Towers den Weg zu ebnen. Sein Aufruf an die Zöglinge, mehr zu lesen, verhallte scheinbar ungehört im Saal, und erst seine erneute Rechtfertigung, die Computer nicht mit Internetanschluss zu versehen, löste missbilligendes Gemurmel aus.
    Dann pries er den Fleiß und Durchhaltewillen der Gruppe, die ein schäbiges Kellerloch in einen mehr als nur vorzeigbaren Kraftraum verwandelt hatte. Er erwähnte die Metzgerei Dunphy, die fünf Langhanteln gespendet hatte, und die Landwirtschaftsgenossenschaft, Hauptabnehmerin der Fallen, die für die Kosten von zwei Rudermaschinenaufgekommen war. Das Ende eines schlappen Applauses abwartend, erinnerte er die Jungen daran, dass es bei der Ertüchtigung des Körpers nicht darum gehe, Kraft zu entwickeln, um Schwächere zu drangsalieren, sondern darum, ein Gleichgewicht zwischen Körper und Geist zu finden. Muskeln seien dazu da, um Arbeit zu verrichten und Gutes zu tun, nicht um die Faust für den Kampf zu stählen.
    Nachdem er seine Ansprache beendet hatte, gab er dem im Hintergrund wartenden

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