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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Proteinverbindungen, Aminosäuren und Genen, die aus einem siebzehnjährigen Schlummer erwachten.
     
    Der Tag, an dem Direktor Moriarty Wilbur zu sich kommen ließ, war ein Mittwoch. Wilbur war gerade auf dem Weg zur Bibliothek, als Cormack ihn holte. Jetzt saß er im Büro im Besucherstuhl und wartete. Miss Rodnick hatte ihm gesagt, der Direktor sei noch mit einem Klempner im Heizungskeller beschäftigt, aber gleich bei ihm. Wilbur fragte sich, was er angestellt hatte. Als ihm außer den manipulierten Ausleihdaten der Bibliothek, Henrys Geld und den Eiern, die er damit kaufte, nichts einfiel, kam er zum Schluss, dass die Movie Men aufgeflogen sein mussten. Vor ein paar Tagen hatten fünf Jungen Apocalypse Now gesehen und waren von O’Carroll erwischt worden. Der Wachmann hatte ein Riesentheater gemacht und damit gedroht, Moriarty zu unterrichten. Nur dank Peter Summerhill, der über unerschöpfliche Geldreserven zu verfügen schien und ein großzügiges Schweigegeld zahlte, behielt O’Carroll die Sache für sich.
    Aber keiner der Jungen traute Alan O’Carroll, dessen Narbe für die wildesten Gerüchte sorgte, über den Weg. Auch Wilbur hätte es nicht erstaunt, wenn der windige Kerl trotz Bestechung zu seinem Chef gegangen wäre, um den Filmclub hochgehen zu lassen. Der letzte Streifen, den Wilbur gesehen hatte, war The Shawshank Redemption mit Tim Robbins und Morgan Freeman gewesen, und der Gedanke, dass es mit den nächtlichen Treffen bald vorbei sein könnte, machte ihn wütend und traurig.
    »Wilbur!« Die Tür war so plötzlich aufgestoßen worden, dass Wilbur zusammenzuckte und seine Halswirbel knirschten, als er den Kopf herumwarf. Robert Moriarty schloss die Tür hinter sich, ging, den Gehstock schwingend, zu seinem Tisch und ließ sich in den Stuhl fallen. Tief in die Rückenlehne versackt, sah er Wilbur an und tippte mit den Spitzen der Finger, die ein Dach bildeten, gegeneinander. »Wilbur Sandberg«, sagteMoriarty und tätschelte die Akte, die vor ihm lag, um gleich darauf die Hände zu falten, als wolle er beten.
    Wilbur rutschte auf seinem Stuhl nach hinten, um ein gerades Kreuz zu machen.
    »Ich möchte dich etwas fragen, Wilbur. Kannst du ...« Moriarty machte eine seiner unberechenbaren Pausen, drehte sich mit dem Stuhl zum Fenster und sah in einen fahlen, lichtlosen Himmel, der jede Zeitschätzung verunmöglichte. »... mir sagen, wie lange du jetzt schon hier bist? Bei uns in Four Towers?« Er schürzte die Lippen, als müsse er selber überlegen, und sah Wilbur an, die Stirn in tiefe Falten gelegt.
    »Ich weiß nicht genau, Sir«, sagte Wilbur. »Vier Monate?«
    Moriarty nickte scheinbar gedankenverloren. Er sah wirklich sehr müde aus, dachte Wilbur, aber dass er jede Nacht mit seiner Frau schlief, konnte er sich trotzdem nicht vorstellen. Bestimmt war er einfach überarbeitet. Die Aufgabe, das Geld der Regierung sinnvoll einzusetzen, hatte er sehr ernst genommen und bestimmt ein paar schlaflose Nächte deswegen verbracht. Die bleiche, zarte Elizabeth konnte unmöglich für seine dunklen Augenringe verantwortlich sein.
    »Nahe dran«, sagte Moriarty, noch immer nickend. Er stand auf und strich mit einem Finger am Rahmen eines Bildes entlang, als wolle er es geraderücken. »Vier Monate, eine Woche und fünf Tage ist es her, seit ich das zweifelhafte Vergnügen hatte, dich in meinem Büro zu begrüßen.« Er grinste, ging um den Tisch herum und setzte sich auf die Kante. Er kreuzte die gestreckten Beine und verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass es schon so lange ist, Sir«, sagte Wilbur. Er fühlte sich unbehaglich. Falls Moriarty etwas gegen ihn in der Hand hatte, wäre es ihm lieber gewesen, damit konfrontiert statt auf die Folter gespannt zu werden.
    »Tja, die Zeit fliegt«, sagte Moriarty. Er seufzte und sah aus dem Fenster, wo nichts war. Nicht einmal eine Taube durchquerte das dichte Grau. »Die Zeit fliegt.« Er legte die Hände an die Tischkante und sah Wilbur an. »Deshalb und weil du dich gut gemacht hast, werde ich deine baldige Entlassung beantragen.«
    Wilbur brauchte einen Moment, um diese Nachricht zu verdauen. Erhatte sich nie Gedanken über das Ende seiner temporären Aufbewahrung, wie er es nannte, gemacht. Er fühlte sich wohl in Four Towers, wohler jedenfalls als bei den Conways. Die älteren Jungen ließen ihn mehr oder weniger in Ruhe, nachdem er in den ersten Wochen schikaniert und bedroht worden war. Mit einem Teil von Henrys

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