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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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kulinarische Sonderwünsche zu erfüllen. Wilbur hatte gehört, sie habe dem aus gutem Haus stammenden Peter Summerhill Räucherlachs besorgt und zwei Jungen, die ihr Geld zusammengelegt hatten, zehn Tafeln Nussschokolade. Ein paar Extraeier von ihr zu bekommen sollte kein Problem sein, dachte Wilbur, und er wusste auch schon, wer ihm das Geld dafür geben würde.
     
    Jeden ersten Sonntag im Monat war Besuchstag. Ließ das Wetter es zu, wurden ein paar Tische und Bänke in den Hof gestellt, regnete es, empfingen die Zöglinge ihre Verwandten und Bekannten im Speisesaal. Wer dem Gemurmel, dem Lachen und gelegentlichen Weinen entgehen wollte, durfte mit seinem Besuch in die Bibliothek, wo Foley, O’Carroll oder einer der anderen Wachmänner darauf achtete, dass die Regeln eingehalten wurden. Wilbur zog es vor, mit Henry Conway in der Bibliothek zu sitzen.
    Am ersten Sonntag nach Wilburs Ankunft in Four Towers waren Aislin und Fiona Lynch gekommen, um Conor zu besuchen, und Aislin hatte bei Wilburs Anblick zu weinen begonnen und ihn mit Fragen bestürmt. Dann war auch Fiona in Tränen ausgebrochen, und Wilbur war nach ein paar gestammelten Antworten in die Bibliothek geflohen, wohin ihm Henry wenig später verwirrt gefolgt war.
    Henry besuchte Wilbur jeden Monat. Er hatte sich drei Tage nach dem Brand von Pauline getrennt und lebte in einer ehemaligen Mühle am River Easky, fünf Kilometer von einem Ort gleichen Namens und zwanzig von Sligo entfernt. Er hatte sich einen Bart wachsen lassen und trug jetzt alte Cordhosen, ausgeleierte Wollpullover und Jacken, deren Löcher er selber stopfte. Seine Anstellung bei der Bank hatte er gekündigt. In der Küche eines Restaurants, dessen Wirt er kennengelernt hatte, half er manchmal aus, putzte Gemüse und spülte Teller. Er hatte sich das Angeln beigebracht und wie man einen Garten anlegt. Das Brennholz für seinen Kamin sammelte er am Meer.
    Er sei glücklich, versicherte er Wilbur. Dabei lächelte er und sah seinem Gegenüber in die Augen. Dann senkte er jeweils den Blick undbetrachtete seine Hände, deren Haut gebräunt und rissig war. Am Hals war unter dem Pullover ein Stück weißer Hemdkragen und der Knoten einer dunklen Krawatte zu sehen. Wilbur vermutete, dass es sich jeden Monat um dasselbe Hemd und dieselbe Krawatte handelte. Er sah Henry genau an, wenn der von seinen Stangenbohnen erzählte oder einer besonders großen Forelle, die er gefangen hatte. Der Mann, der einmal sein Ziehvater gewesen war, schien vor Leben zu sprühen, und doch war in seinen Augen und seinen Bewegungen etwas, das Wilbur misstrauisch machte. Hinter jedem Lachen und jeder Geschichte und jeder Beteuerung, zufrieden zu sein, lag eine Traurigkeit verborgen, die Wilbur sich nur damit erklären konnte, dass Henry seine Frau vermisste.
    »Geht es dir auch wirklich gut hier drin?« fragte Henry, wie er es jedes Mal tat.
    »Mir fehlt nichts«, sagte Wilbur, ohne nachzudenken, und lächelte ein wenig.
    Henry nickte und sah auf seine schrundigen Hände. »Ich baue jetzt Kartoffeln an, weißt du?«
    »Kartoffeln sind okay«, sagte Wilbur. »Hier gibt es viermal die Woche Kartoffeln.«
    »Gut«, sagte Henry, nickte erneut und krümmte die Finger so, dass der Dreck unter den Nägeln nicht mehr zu sehen war.
    An diesem Sonntag waren sie fast alleine in der Bibliothek. Außer O’Carroll, der immer wieder kurz einnickte, saßen nur noch Tommie Fitzgerald und dessen Eltern und Rory Simmons mit seiner Mutter an den Tischen bei den Fenstern. Im Speisesaal verloren sich eine Handvoll Zöglinge und deren Besucher. Es war Sommer, und die Leute hatten Besseres zu tun, als nach ihren missratenen Söhnen und Enkeln zu sehen.
    »Heute Abend werde ich mir einen Kartoffelauflauf im Ofen machen«, sagte Henry. »Mit Dosenspargel und Speck und mit Käse überbacken.« Er nickte eifrig und sah dann aus dem Fenster, wo zwei Tauben vorbeiflogen.
    »Klingt lecker«, sagte Wilbur. Er kannte das Rezept, es war von Pauline.
    Tommie Fitzgerald regte sich über etwas auf, das sein Vater sagte, wurde laut und fluchte. O’Carroll wachte aus seinem Dämmerzustandauf und wies den Jungen, der wegen Diebstahls und Fahrerflucht hier war, zur Ordnung. Henry schob Wilbur rasch ein paar Scheine zu, die er aus dem Ärmel des Pullovers gezogen hatte. Wilbur nahm das Geld und steckte es unter den enganliegenden Hemdkragen.
    »Danke«, sagte er leise.
    Henry schloss kurz die Augen und nickte. Tommie hatte sich beruhigt, aber sein Vater stand

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