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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Nummer. Der alte Mann war auf seiner Seite, Moriarty wollte es sich nur bestätigen lassen.
     
    Wilbur hatte den Brief immer wieder gelesen, so lange, bis er ihn auswendig konnte, wie Conor. Er lag in seinem Bett auf der Krankenstation und murmelte die Worte vor sich hin, fing nach dem letzten wieder beim ersten an, endlos. Ein Matrose hatte sie aufgeschrieben, Abschiedsworte an seine Frau. Eamon McDermott hatte sie unterschlagen, gestohlen und in eine Kiste gelegt, die Kiste in einen verlassenen Dachsbau geschoben. Conor Lynch hatte den Brief gefunden, unter Tüchern, unter dem Fernrohr und dem Messer und dem Revolver, den er in jener Nacht holte. Im Mondlicht hatte er den Brief gelesen und entschieden, ihn Wilbur nicht zu zeigen, schon damals ahnend, was er bedeutete.
    Als Wilbur Schritte auf dem Flur hörte, zerriss er das Blatt, auf das Conor den Brief aus dem Gedächtnis geschrieben hatte, und stopfte die Streifen in eine Lücke zwischen den Fliesen und dem Abflussrohr des Waschbeckens. Er war seit Stunden angezogen, die frische Kleidung hatte Foley am Morgen auf das Nachbarbett gelegt. Sein Kater war verflogen, Appetit hatte er trotzdem keinen. Am linken Fuß trug er einen Schuh, am rechten nur einen zu großen Strumpf, weil der Zeh noch immer bandagiert war. Er stand neben dem Bett, als Moriarty und O’Carroll die Tür aufsperrten und das Zimmer betraten. Geraldine folgte ihnen mit Putzzeug und einem Wäschekorb. Moriarty wirkte bekümmert, als er sich im Raum umsah.
    »Na, wie geht es uns denn heute?« fragte er und zwang sich zu einem Lächeln und einem munteren Ton.
    Wilbur zuckte mit den Schultern. Hose und Hemd waren ihm zu groß. Dass der Alkoholkonsum für eine Schrumpfung seines Körpers verantwortlich sein könnte, erschien ihm unwahrscheinlich und bei näherer Betrachtung absurd. Er hatte viel über die schrecklichen Folgenunmäßigen Trinkens gehört und gelesen, aber in seinem Fall handelte es sich offensichtlich nur um eine Fehleinschätzung der Kleidergröße.
    »Doktor Carrigan sagt, wenn du nicht mehr husten würdest, sei dein Urlaub beendet.« Moriarty setzte sich auf eins der leeren Betten und blickte nach draußen, wo Regen niederging. Seewind trieb Wolken über einen Himmel, der ständig seine Farben wechselte, in einer Minute grau auf die Hügelkuppen drückte und in der nächsten blau erstrahlte. Regen fiel nach dem gleichen unregelmäßigen Muster und trocknete rasch in den heftigen Böen und der Sonne, die nach jedem Wolkenschub über die Landschaft flutete.
    Wilbur dachte daran, zu husten, räusperte sich dann aber nur. Geraldine rieb mit einem Putzlappen über das Waschbecken, zog danach die Laken von Wilburs Bett und legte sie in den Korb. O’Carroll stand bei der Tür, die Arme im Rücken gekreuzt. In der Stille konnte man die Regentropfen hören, die der Wind gegen das Glas warf.
    Moriarty sah Wilbur nachdenklich an. »Ich würde gerne mit dir reden, Wilbur«, sagte er schließlich. »In meinem Büro.« Er erhob sich, wobei er beide Hände auf den Stock legte, sah eine Weile selbstvergessen zu, wie Geraldine die Knöpfe des Kissenbezugs öffnete, und ging dann zur Tür, die O’Carroll für ihn öffnete.
     
    Conor saß im Taubenschlag und sah in den von Licht geweiteten Himmel. Er war mit der Arbeit fertig, aber hinlegen wollte er sich nicht. Dass Wilbur mit ihm gesprochen, dass er ihm vielleicht verziehen hatte und sie wieder so etwas wie Freunde waren, ließ ihn vor Unruhe immer wieder aufstehen und herumgehen, obwohl hier oben kaum Platz war. Die Schwellung seiner Lippen war zurückgegangen, und er konnte sich wieder ohne Schmerzen im Bauch strecken und die Schuhe binden. Callum Gallagher und die Typen aus der Gang ließen ihn in Ruhe. Sie hatten ihn nach Wilburs Zustand gefragt, und er hatte ihnen gesagt, Wilbur habe eine üble Rauchvergiftung und schwere Verbrennungen und müsse wohl noch eine Weile auf der Krankenstation bleiben. Die Gang war enttäuscht, ihr stand der Sinn nach Rache und Bestrafung, nicht nach Warten.
    Conor sah hinunter in den Hof, wo die Jungen mit Holzstöcken aufihre Matratzen einschlugen. Sie hassten diese Arbeit, und ihr Hass entlud sich in den Hieben, die auf dem Turm wie weit entferntes Gewehrfeuer klangen. Conor würde seine Matratze später ins Freie schleppen, um den Staub und den Milbenkot aus ihr zu prügeln und sie mit einer Lösung zu besprühen, die die Jungen Moriartys Nebel nannten. Auch zum Haareschneiden würde er erst gehen, nachdem

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