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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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meisten Jungen in diesem Sessel dachten, nämlich dass das Schergerät ein Vibrator sei und das heftige Atmen der übergewichtigen Molly ein nahender Orgasmus. Oder dass sich die mit Sicherheit unglücklich Verheiratete nach getaner Arbeit die Kleider vom üppigen Leib reißen und die flaumigen Achselhaare rasieren würde, auf dem Rücken liegend und vor Lust keuchend. Er würde auch versuchen, sich nicht vorzustellen, was fast jeder von Mollys Kunden unter dem schwarzen, mit Haaren aller Farben bedeckten Umhang trieb, der ihnen vom Hals bis zu den Knien ging. Dasitzen würde er, die Augen geschlossen, und überlegen, was er anfangen sollte draußen in der drohenden Freiheit.
     
    Das Auto sah Conor schon, als es von der Hauptstraße abbog. Es war ein dunkler Lieferwagen, und er blieb nach etwa hundert Metern auf dem Zufahrtsweg stehen. Mächtige Wolken flogen über einen blauen Himmel, ihre Schatten waren Teiche und Seen, die sich für keinen Ort in der Landschaft entscheiden konnten, über die Hügel glitten und verschwanden. Ein Fuchs, rotbraun wie Mollys Haar, schoss aus einer Hecke und rannte über ein Feld. Der Wagen setzte sich in Bewegung, wurde schneller und raste auf das Haupttor zu. Als der Fuchs in ein Wäldchen tauchte, prallte das Fahrzeug gegen das Tor. Einen Moment lang blieb es mit eingedrückter Schnauze stehen, ein benommenes Tier, dem zischend Atem entstieg, dann setzte es zurück, heulte ein paar Mal auf und preschte erneut vor.
    Beim ersten Knall war Foley, der die Aufsicht über die im Hof arbeitenden Jungen hatte, zum Tor gerannt und hatte durch das Guckloch gespäht. Jetzt redete er aufgeregt in sein Funkgerät und sah zum Turm hoch, wo wie erstarrt Cormack stand. Als es zum zweiten Mal krachte, schrie Foley die Jungen an, ins Hauptgebäude zu gehen, aber seine Befehle gingen im anschwellenden Jaulen einer Sirene und dem Gejohle der Jungen unter. In den dritten Aufprall mischten sich berstendesBlech und splitterndes Holz, das Tor schwang auf und krachte gegen die Mauern. Was vom Lieferwagen übrig war, kroch auf den Hof und starb in einem Pilz aus Dampf und Rauch und einer Wolke schwarzer Abgase. Hinter der Windschutzscheibe, die halb aus dem Rahmen gesprungen, aber intakt war, hing eine dunkle Gestalt über dem Lenkrad und hob den Kopf. Die Fahrertür ging auf, und der Mann kippte vom Sitz und fiel zwischen zwei Pfützen auf den Teerboden. Foley zerriss sich in drei Teile. Einer versuchte, die Jungen ins Gebäude zu treiben, der zweite wollte den Verrückten fangen und der dritte das Tor schließen.
    Als Cormack endlich von seinem Turm herunterkam, waren schon ein Dutzend Jungen auf und davon. Der Fahrer hatte sich aufgerappelt und rannte torkelnd über den Platz, beschrieb Ellipsen und Achten, blieb plötzlich stehen und duckte sich unter Foleys offenen Armen weg, stolperte zum Wagen, umrundete ihn, verschwand im Laderaum und kollerte zur Beifahrertür wieder hinaus. Irgendwann konnte Foley nicht mehr, setzte sich hin und keuchte und bellte in sein Funkgerät. Immer mehr Jungen drängten durch das offene Tor und verteilten sich auf den Feldern, während Cormack den verfolgte, der als einziger die Straße als Fluchtweg gewählt hatte.
     
    Moriarty stand am Fenster seines Büros und sah dem Treiben im Hof und auf den Feldern in einer Mischung aus Entsetzen und Belustigung zu. Er wusste, dass er zum Telefon gehen und die Polizei informieren sollte, dass es eine gute Idee wäre, hinunterzugehen und die Jungen, die unschlüssig vorm Tor hin und her liefen, zum Bleiben zu überreden, aber er stand nur da, überwältigt von den Geschehnissen und unfähig, sich zu rühren. Miss Rodnick, die vor wenigen Augenblicken zu ihm hereingestürmt war und hysterisch geschrien hatte, würde bestimmt die Polizei anrufen.
    Vom Meer her kamen Regenwolken und schütteten sich Minuten später aus. Die Jungen, die über die Felder rannten, hinfielen, sich aufrappelten und weiterhetzten, erinnerten Moriarty an Hasen. Hinter ihm stand ein Schrank, darin waren zwei Gewehre eingeschlossen. Der Schlüssel hing an einem Bund, der warm in seiner Hosentasche lag. Er spürte ihn zwischen den Fingern, er war kürzer als die anderen und seinSchaft hohl wie der Lauf einer winzigen Waffe. Regen prasselte auf das Dach des Lieferwagens, aus dem plötzlich der Mann stürzte und etwas schrie, das vom Lärm der Sirene geschluckt wurde.
    »Willst du nicht gehen?« fragte Moriarty, ohne den Blick vom Hof zu nehmen.
    Wilbur antwortete

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