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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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frierender Hund. Das war der Spinner, der jede Woche freiwillig in den Turm hochstieg, um Taubenscheiße abzukratzen. Der nach der Arbeit auf dem Rücken lag und träumte. Er betrachtete den Jungen, der die Augen geschlossen hielt und keuchend atmete. Er streckte die Hand aus und zog sie zurück. Eine Zigarette wäre jetzt das Richtige gewesen, aber hier drin zu riskant. Er fischte stattdessen eins von Cormacks Bonbons aus der Tasche, wickelte es aus und schob es in den Mund. Erdbeere, Weibergeschmack. Der Junge ächzte, krümmte sich noch mehr zusammen. Im Garten hinter dem Haus hatte es Erdbeeren gegeben, groß und rot, wenn das Gekreuche und die Vögel nicht vorher alles holten. Er machte die Augen zu, legte den Kopf an die Wand. Seine Mutter füllte Untertassen mit Guinness, darin ersoffen die Schnecken. Sein Vater sah das Vergeuden von Bier als Sünde, als Verbrechen, und Erdbeeren hasste er.
    O’Carroll öffnete die Augen. Der Junge atmete ruhig.
    »He, wovon träumste?« flüsterte O’Carroll, als stelle er sich die Frage selber. Er würde noch eine Weile sitzen bleiben und den Jungen dann zur Krankenstation bringen. Bestimmt war der arme Kerl die Treppe hinuntergefallen. Das passierte immer wieder.
     
    Wilbur atmete mit einem falschen Ächzen, gespielt angestrengt und stockend. Er fragte sich, wie lange man ihn in Ruhe lassen würde, wenn er eine Rauchvergiftung und Erschöpfung vortäuschte, und kam auf einen halben Tag. Dann würde Moriarty mit ihm reden wollen. Wilbur hoffte, dass er wütend war, wütend und enttäuscht genug, um ihn noch eine Weile hierzubehalten, am besten ein Jahr. Dann wäre Wilbur alt genug, um sein Erbe anzutreten, das Geld zu nehmen und zu verschwinden.
    »Ich werde Miss Ferguson anrufen müssen«, sagte Moriarty leise, um Wilbur nicht zu wecken.
    »Die Arme«, sagte Elizabeth. »Es wird ihr das Herz brechen.«
    Wilbur gelang ein rasselndes Pfeifen, das er aus den Tiefen seiner Lungen holte. Er hätte sich gerne das Kissen über den Kopf gelegt, um nichts mehr zu hören. Er wollte niemanden enttäuschen, niemanden verletzen, weder Moriarty noch seine alte Lehrerin. Hier drin bleiben wollte er, die Eintönigkeit der Tage über sich ergehen lassen, Nagetierfallen bauen und Zeit totschlagen. Er verlangte nichts außer diesen Mauern, die ihn aufheben sollten, bis er achtzehn war.
    »Gerade noch hat er Gewichte gestemmt, als hinge sein Leben davon ab.« Moriartys geräuschvolles Ausatmen erfüllte, getragen von einem langen Seufzer seiner Frau, den Raum. »Ich verstehe das nicht.«
    »Dabei hast du so viel Hoffnung für diesen Jungen gehabt.« Ihr Flüstern war der Ton aus einem Radio, dem ein Kind unter der Bettdecke lauscht.
    Wilbur wünschte, Elizabeth Moriarty würde nicht an seinem Bett stehen und solche Dinge sagen. Der Klang ihrer Stimme bewirkte, dass er sich schäbig fühlte, feige und dumm. Sie musste mit ihrem Mann hergekommen sein, überlegte er, mitten in der Nacht und nur seinetwegen. Er schämte sich und hoffte, die beiden würden bald gehen.
    »Die Hoffnung habe ich nicht aufgegeben«, sagte Moriarty so leise, dass Wilbur es kaum verstand. »Das tue ich nie.«
    Eine Weile standen die beiden noch schweigend da, dann verließen sie den Raum. Wilbur hörte, wie der Schlüssel im Schloss gedreht wurde. Er blieb auf der Seite liegen und wartete, bis die Schritte sich entfernt hatten, wartete, bis das Kreisen der Gedanken langsamer wurde und der Drang, weinen zu müssen, nachließ. Dann öffnete er die Augen und schlug die Bettdecke zurück, wo sie auf dem verbrannten Zeh lag. Er überlegte, ob er so betrunken gewesen war, dass er nicht gemerkt hatte, wie er Feuer fing. Wären die Flammen über seinen Fuß das Bein hochgekrochen, im Stoff der Hose Nahrung findend? Wäre er verbrannt, zusammen mit sämtlichen Büchern, dem Schund, dem Mittelmaß und dem Lesenswerten? Das brachte ihn auf die Frage, wer ihn gerettet hatte.
     
    Conors Lippen sahen aus, als hätte er zwei Würstchen unter sie geschoben, wie Stuart Maguire es manchmal im Speisesaal tat, wenn er den Clown gab. Die Haut um seine Rippen war dunkel verfärbt, am rechtenUnterarm prangte ein blauer, faustgroßer Fleck. Wenn er atmete, tat es weh, und wenn er sich aufrichtete, ritzten Messer seine Bauchmuskeln.
    Doktor Carrigan, der in dieser Nacht zum zweiten Mal nach Four Towers hinausgefahren und entsprechend übel gelaunt war, hatte ihn untersucht und eine Überweisung ins Krankenhaus für unnötig befunden. Der

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