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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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stand, durchströmte ihn das warme, wohlige Gefühl, das ihm während der endlos langen Stunden in diesem Gebäude so sehr fehlte. Orla schien zu spüren, wenn Wilbur sie ansah, und hob eine Hand, um ihm zuzuwinken. Wenn es besonders kalt war oder sie gute Laune hatte, hüpfte sie auf und ab und fuchtelte dabei mit den Armen, und ein der übrigen Welt verborgenes Lächeln legte sich für den Rest der Stunde auf Wilburs Gesicht.
     
    Was für die anderen Kinder das Beste an der Schule war, fürchtete Wilbur am meisten. In den Pausen verkroch er sich in eine Ecke des von Steinmauern und Maschendrahtzaun eingefassten Hofes und hoffte, für einmal verschont zu bleiben. Ein Gestrandeter am Ufer eines Meeres aus Lärm, duckte er sich an die Mauer, machte sich kleiner, als er war, hob schützend die Hände vor das Gesicht, wenn die Wogen der Balgenden und Kämpfenden zu nahe an ihn heranbrandeten, und zählte die Sekunden bis zum erlösenden Schrillen der Glocke.
    Als Conor, flankiert von seinen Freunden Sean Finn, Niall McCoy und Liam O’Donnell vor ihn trat, schloss Wilbur die Augen und flehte stumm darum, unsichtbar zu werden, im Boden zu verschwinden oder in einer Mauerritze.
    »He, Hosenscheißer!« Conor gab sich Mühe, tief und bedrohlich zu klingen, obwohl auch er noch eine ganze Weile auf den Stimmbruch warten musste. Sein Gefolge kicherte, ballte nervös die Fäuste in den Taschen. »Warum biste so weiß?«
    »Bleicher als ’n Nonnenarsch«, sagte Niall McCoy, der vorlauteste unter dem Trio, das an Conor klebte wie Putzerfische an einem Hai.
    Conor trat einen Schritt nach vorne, um klarzumachen, dass es sein Vorrecht war, dem dürren Knilch eine Lektion zu erteilen. Dem Streber, der im Unterricht alles wusste und den Rest der Klasse dumm aussehen ließ, der mühelos in Büchern las und auf der Karte jedes noch so kleine Land am Ende der Welt fand. Dem Fremden, der seine Mutter auf dem Gewissen hatte. Dem Abkömmling eines Selbstmörders.
    »Was haste da eigentlich inner Tasche?« Conor zeigte mit der Schuhspitze auf Wilburs Hand, die in der Tasche seiner Hose steckte.
    Wilbur antwortete nicht, sah Conor nicht an. Er blickte durch den Spalt in der Mauer aus Beinen, die vor ihm einen Halbkreis bildete, wartete, zählte lautlos Sekunden. Vielleicht kam eine Lehrerin vorbei und wollte wissen, was los sei. Oder einer der Lehrer sah aus dem Fenster der kleinen Teestube, deutete die Ansammlung richtig und schritt ein, bevor etwas passierte. Wilbur wünschte sich Regen. Ein Wolkenbruch würde die Kinder ins Gebäude scheuchen. Dort wäre er einigermaßen sicher, solange er auf dem Fenstersims saß, gut sichtbar für die Lehrkräfte, die Aufsichtsdienst hatten.
    Zwei Hände packten seinen Arm, und er öffnete die Augen. Conor riss seine Hand aus der Hosentasche, die den Indianer und das Pferd umklammerte. Wilbur und Orla. Warm von seinem Körper, ans Tageslicht geholt nur in der Sicherheit des Autos, des Zimmers, des Gartens. Niemand außer ihm und Orla durfte die Figuren berühren.
    »Sieh mal an.« Conor hatte Wilburs Hand mit der Leichtigkeit geöffnet, mit der er einen Apfel in zwei Hälften brach. Jetzt hielt er Wilburs Unterarm mit der einen Hand fest, während die andere den reitenden Indianer herumzeigte.
    »Das Bleichgesicht hat eine Rothaut zum Freund.« Niall lachte. Als Conor grunzte, lachten auch Sean und Liam.
    »Der Bettnässer spielt also nicht nur mit Puppen«, versuchte es Liam und war erleichtert, als die Freunde glucksten.
    Wilbur hing an Conors Hand wie ein zerschlagener Boxer, den der Ringrichter zum Sieger erklärt. Er kniete mit angewinkelten Beinen auf dem Boden, der kalt war und dunkel von einem Regen, der nicht auf ihn gewartet hatte. Sein Schultergelenk tat weh, Conor verdrehte es.
    »Soviel ich weiß, ist Spielzeug hier verboten«, sagte Conor und erntete Zustimmung. Er grinste wie ein Anwalt im Fernsehen, der die Geschworenen im Griff, den Prozess so gut wie gewonnen hat. Er wandte sich an Wilbur, studierte dessen vor Schmerz und Angst verzogenes Gesicht. »Du weißt doch sonst alles, Klugscheißer.«
    Wilbur atmete ein und aus. In der Hand hielt er eine Fackel, deren Flammen seine Haut versengten. Er hatte sich verzählt und wollte von vorne beginnen, aber er vergaß, was nach der Acht kam. So alt war er jetzt, acht, und sah aus wie fünf, ein bleicher Knirps mit hellbraunenHaaren, über das die Verkäuferinnen bei McSweeney’s strichen, ein Winzling, dem wildfremde Frauen das hübsche

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