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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Gesicht tätschelten. Ein Schwächling, der nachts zu einem Gott betete, dessen Existenz er anzweifelte. Ein Baby, das an der Hand der Großmutter eine Welt erkundete, die ihm auf Buchseiten entgegenleuchtete und die kleiner war als dieser Schulhof. Ein Angsthase, der an manchen Tagen tot umfallen wollte, statt zur Schule zu gehen. Ein Feigling wie sein Vater.
    Er hörte das Schrillen der Pausenglocke und wusste nicht, dass es das Geräusch von Hass und Wut war, das in ihm aufstieg wie der Wirbel eines Tornados, dessen Bilder er im National Geographic gesehen hatte. Raunen hörte er, zu leise, um den Argwohn der Lehrer zu erwecken. Und dann, in einer Sekunde der Stille, im reglosen Auge des Sturms, hörte er seine eigene Stimme.
    »Gib sie zurück.«
    Gleich darauf spürte er einen heftigen Schmerz, als reiße etwas in seiner Schulter, die Schnur, mit der der Hund an der Scheune angebunden ist. Er spürte die Tränen, die aus seinen Augen strömten, vielleicht schon lange über die Wangen liefen, und er spürte, wie seine geballten Fäuste auf etwas Hartes trafen und wie der Schmerz zur Kraft wurde, zum blinden Toben gegen einen Schädel, an dem weiche Teile unter seinen brennenden Knöcheln nachgaben, fühlte, wie er nach vorne stürzte und statt auf dem Boden auf etwas Nachgiebigem landete, etwas, von dem er büschelweise feines Gras reißen konnte und das brüllte wie ein Tier im blechernen Dunkel eines Transporters, unterwegs zum Schlachthof. Blut und Rotz und Spucke benetzten seine Hände, sein Atem war heiß. Er röchelte, zitterte, schlug beide Fäuste ein letztes Mal in das Weiche, unter dem das Harte lag und glühende Nadeln in seine Finger trieb, dann seufzte er matt und unerlöst, wollte zur Seite kippen und wurde hochgehoben, schwebte davon, ein Engel der Rache, ein müde keuchendes Engelchen, in dem der Zorn erkaltete, an einem Seil über der Bühne schwebend, der Arena, umspült von Lärm und geweiht vom Wasser eines verspäteten Regens.
     
    Orla rieb die blau verfärbte und geschwollene Schulter mit Arnikasalbe ein und wickelte ein Tuch darum. Dabei summte sie für Wilbur ein Lied, Mistletoe and Wine von Cliff Richard, das in England die Hitparade anführte. Obwohl sie den Text auswendig konnte, ließ sie ihn weg, denn sie fand, ihr Summen sei beruhigender.
    Wilburs Schulter war von einem Arzt in Letterkenny eingerenkt worden, demselben Arzt, der Conor die gebrochene Nase gerichtet, ein geschwollenes Auge behandelt und die geplatzte Unterlippe genäht hatte. Der Mann, ein ehemaliger Militärarzt, der schon einiges gesehen hatte, wollte von dem Lehrer immer wieder wissen, ob wirklich der Kleine für den üblen Zustand des Großen verantwortlich sei, und als der Lehrer jedes Mal mit ja antwortete, kicherte der Arzt in sich hinein und murmelte etwas von Boxtalent und wildem Stier.
    Orla, die nach Unterrichtsschluss vor der Schule vergeblich auf Wilbur gewartet hatte und von einem Lehrer über den Zwischenfall informiert worden war, fand die Sache ebenso wenig witzig wie Conors Mutter, die weinend im Behandlungszimmer gesessen und versucht hatte, ihrem Sohn die Hand zu halten. Der Lehrer hatte Orla mit Konsequenzen gedroht, und Orla hatte geantwortet, von ihr aus könne man Wilbur jederzeit der Schule verweisen, dann unterrichte sie ihn eben wieder zu Hause.
    Wilbur lag in seinem Bett, lauschte Orlas Summen und bewegte die Finger unter den Handtüchern, zwischen denen ein mit Eiswürfeln gefüllter Plastikbeutel lag. Er hatte seit der Prügelei keinen Ton von sich gegeben, während der Heimfahrt seine aufgedunsenen Hände angestarrt und sich gewünscht, Orla würde das Radio einschalten und so laut singen, wie sie konnte. Im Behandlungszimmer hatte er es vermieden, Conor anzusehen. Er war eingesunken auf dem Stuhl gesessen, während die alte Arzthelferin seine Knöchel mit Jod abtupfte und dabei leise vor sich hin murmelte, kopfschüttelnd und immer wieder enttäuscht mit der Zunge schnalzend.
    Er hatte sich im Spiegel an der Wand gegenüber gesehen und nicht geglaubt, dass dieser Zwerg es war, der den auf der Liege ausgestreckten Jungen so zugerichtet hatte.
    »Was du getan hast, war falsch«, sagte Orla sanft und strich Wilbur eine Haarsträhne aus der Stirn. »Das weißt du, nicht wahr?«
    Wilbur nickte. Er bestrafte sich, indem er die Finger krümmte. Wassertrat in seine Augen, er sah Orlas Gesicht durch einen dünnen Film, der das Licht der Deckenlampe in Stücke brach. Orla lächelte, legte den Kopf

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