Nach Hause schwimmen
schloss die Augen und dachte an die Filme, die er gesehen hatte, und daran, dass die erschossenen Schauspieler nicht wirklich tot waren, weil in den Waffen keine richtige Munition und das Blut rote Farbe war. Und er dachte an die Zeitungsmeldungen, die er heimlich gelesen hatte, und in denen von Mord und Totschlag die Rede war, an die Bilder von Menschen, die richtig umgebracht worden waren und nicht mehr aufstehen, sich den Staub von den Kleidern wischen und weiterleben würden.
Er öffnete die Augen. Conor hatte das fettige Tuch auseinandergefaltet und starrte auf den Revolver, der darin lag.
Als Orla rief, zuckten Wilbur und Conor zusammen. Die beiden saßen auf dem Hügel neben dem Haus und dachten nach. Sie waren sich einig, niemandem etwas von der Kiste und deren Inhalt zu erzählen, und heimlich wog jeder für sich ab, ob diese Entscheidung richtig war. Natürlichhatten sie auch darüber gerätselt, wem die Kiste gehörte und wer sie im Dachsbau versteckt haben mochte, hatten angefangen zu phantasieren und sich gegenseitig mit Geschichten über Piraten, Spione, Bankräuber und desertierte Soldaten überboten. Conor hatte den Revolver mit beiden Händen festgehalten, hatte die Trommel ausgeschwenkt, durch die leeren Patronenkammern hindurchgesehen und den Abzugshahn gespannt, hatte die Trommel sich drehen lassen und zurückgeklappt, hatte mit dem Lauf in den Himmel gezielt und abgedrückt und dabei den Knall eines Schusses nachgeahmt.
Dann hatte er die Waffe Wilbur gegeben, der die Verzierungen im Metall und die Maserung des Holzes betrachtet und vorsichtig in den Lauf gespäht und sich gefragt hatte, ob daraus jemals eine Kugel abgefeuert worden war, um einen Menschen zu töten. Er hatte Conor diese Frage gestellt und ihm den Revolver zurückgegeben. Conor hatte kurz nachgedacht, mit den Schultern gezuckt, die Waffe sorgfältig in das Tuch und zusätzlich in die Wolldecke gepackt und in die Kiste gelegt. Weil sie nicht wussten, ob der Unbekannte noch lebte und ob er irgendwann kommen und sie holen würde, hatten sie die Kiste in die Höhle zurückgeschoben und den Eingang mit Erdklumpen und Grasbüscheln verstopft.
Orla rief ein zweites Mal, und sie gingen zum Haus, aßen in der Küche warmen Früchtekuchen, tranken Tee und hörten Radio. Danach schlug Orla vor, den Rest des Sonntagnachmittags damit zu verbringen, die seltsamste Baustelle in der ganzen Gegend zu besichtigen.
Der Bau war kein schöner Anblick. Auf einem Feld, etwa eine halbe Meile vom Schulhaus entfernt, stand ein Würfel, dessen steiles, nach Süden abgeschrägtes Dach aus Glasziegeln gerade genug Tageslicht ins Innere ließ, um die fehlenden Fenster wettzumachen. Am höchsten Punkt des Daches thronten zwei Tanks aus schwarzem Kunststoff, die von Weitem wie die Augen eines monströsen Insekts aussahen. Um den Rohbau herum lagen Sand-, Kies- und Erdhaufen und türmten sich Betonblöcke und Bretter. Unter einem Wellblechverschlag lagerten stapelweise weiße Kacheln und in Plastikfolie gewickelte Säcke mit Fliesenkleber und Fugenzement. Der Boden des Grundstücks war verschlammt und vonTraktorspuren zerfurcht, Bäume, die Wurzeln freigelegt, standen schief und abgestorben vor einem Zaun, den ein Schild mit der handgemalten Aufschrift SCHWIMMEN HEISST LEBEN ! überragte.
Während der Autofahrt hatte Orla den Jungen die Entstehungsgeschichte des Klotzes erzählt und dabei Zeitungsberichte, Dorfklatsch und eigene Erkundigungen vermischt. Fintan Taggart, ein Kind des Ortes, war als junger Mann nach Neuseeland ausgewandert, wo er seinen Lebensunterhalt als Rettungsschwimmer bestritten hatte, bevor er mit imitierter Maori-Kunst zu handeln begann und schließlich Vertreter für Gartenmöbel wurde. Als seine Mutter schwer erkrankte, kam er zurück nach Irland, gerade noch rechtzeitig, um seinen Vater zu beerdigen, der beim Angeln von einem Felsen ins Meer gestürzt und ertrunken war.
Fintan pflegte seine Mutter, die sich bald erholte, und schwor am Grab seines Vaters, etwas gegen den Umstand zu unternehmen, dass in Irland kaum jemand schwimmen konnte. Er wandte sich an Behörden und Politiker, schrieb an Zeitungen und gründete einen Verein mit dem imposanten Namen Irische Gesellschaft zur Förderung der Schwimmkultur . Er hielt Vorträge an Schulen und zog durch die Dörfer und sammelte Geld, um das erste Schwimmbad im County Donegal zu bauen und darin Kinder und alle, die es wollten, die Kunst des Nichtertrinkens zu lehren.
Obwohl sie
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