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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Beinen, ein mickriges Hündchen, der schwächste Welpe aus dem Wurf, den man ertränkte.
    Als Wilbur eines Tages, zu müde zum Kämpfen, an den Grund des Lochs sank, fühlte er die tiefere, kühlere Schicht des Todes an seiner Haut. Sein Trudeln und Strampeln über dem Grund dauerte nur einen schrecklichen Gedanken lang, dann lag er, von einem Zaun aus Beinen umgeben, am Rand des Beckens. Taggart holte ihn keuchend vor Anstrengung und Angst aus der Bewusstlosigkeit und befreite ihn vom Schwimmunterricht. Den Conways erklärte er, Wilbur reagiere allergisch auf das Chlor.
    Um Wilburs Furcht vor dem Wasser zu bestrafen, trug Taggart ihm die Reinigung des Beckens auf. Alle zwei Wochen musste Wilbur die Fliesen mit Seifenlauge abschrubben und die Filterkörbe leeren. Taggart, der auch in der Freizeit in seinem roten Trainingsanzug herumlief, saß derweil im nahen Pub oder neben dem Ofen, in dem die Fliesen gebrannt worden waren und der jetzt als Heizung diente. Wilbur rutschte auf den Knien im glitschigen Film, der sich auf dem Beckenboden abgelagert hatte, und überlegte, wie einfach es gewesen wäre, zu sterben. Danntauchte Taggart am Rand auf und trieb ihn zu schnellerem Arbeiten an, und Wilbur dachte an den Mann im Film und daran, wie leicht es sein mochte, jemanden zu töten.
     
    Es war der letzte warme Herbsttag des Jahres, als Wilbur vor dem Haus des alten Mannes stand, die Hände in den Taschen und auf den Mut wartend, der nötig war, um anzuklopfen. Im Erdgeschoss brannte hinter den Vorhängen Licht, und manchmal glaubte Wilbur Schritte zu hören, das Schließen einer Tür oder das Knacken von Holz. Aus dem Schornstein trieb Rauch, der die Farbe der Torfbarren hatte, die im Kamin verbrannten. Ein leichter Wind zerzauste Wolken, unter denen Linien schwarzer Vögel zogen, weg aus diesem Land an einen Ort, wo es keinen Winter gab. Wilbur sah ihnen nach, und als die Tiere ins trübe Blau des Horizonts eintauchten und sich darin auflösten, hob Wilbur die Hand und klopfte an. Nach einer Weile öffnete der Alte und trat zur Seite, als habe er Wilbur erwartet.

6
    Ich will weg. Ich habe alles hier drin satt. Die offenen Türen. Die Fische. Die Sitzungen im Runden Zimmer, das eckig ist. Die Männer, ihr Schwanken zwischen Erleichterung, am Leben zu sein, und dem Wunsch, zu sterben. Die Pfleger, diese perfekten Paarläufer auf dem meterdicken Eis ihrer Hingabe. Das viele Licht. Der Blick durch das Sicherheitsglas auf eine Landschaft, die so hingebaut wirkt wie das Gebäude, in dem ich ausharre, ohne zu wissen, worauf ich warte. Vermeer, der glücklich ist, wenn ich ein Wort oder einen Satz auf einen Zettel schreibe. Pendergast, der Pendergast ist. Ich will mich nicht mehr beim Essen beobachten lassen. Ich kann Elroys Blicke nicht länger ertragen, wenn er mir zusieht, wie ich mit einem Trinkhalm Tee oder Kakao zu mir nehme. Es ist anstrengend, nicht zu reden, den Mund zu halten, wenn ich jemanden anschreien möchte.
    Vor ein paar Tagen wäre ich beim Mittagessen beinahe auf Wayne losgegangen, weil er wohl hoffte, ich würde endlich einen Laut von mir geben, wenn er mich lange genug provozierte. Er nannte mich einen Irren und warf mit Erbsen nach mir, und Melvin und Rodrigo mussten mich zurückhalten, damit ich ihm nicht an die Kehle sprang. Dabei waren es nicht Waynes Beschimpfungen oder die Erbsen gewesen, die mich ausklinken ließen. Es ist die Tatsache, dass ich seit einem Monat und zwei Tagen in der Stadt der Selbstmörder bin und nichts dafür tue, sie demnächst zu verlassen. Bis gestern habe ich sogar vermieden, über meine Situation nachzudenken, und wenn ich mich doch einmal fragte,was zum Teufel ich hier eigentlich wollte, redete ich mir ein, Ruhe zu brauchen, Zeit, um mich zu erholen. Meist stand ich vor dem Badezimmerspiegel, wenn ich mir diese unangenehme Frage stellte, deshalb habe ich vor einigen Tagen aufgehört, mich beim Zähneputzen anzusehen. Hätte ich einen richtigen Bartwuchs und nicht dieses flaumige, schüttere Gestrüpp, ich würde ihn sprießen lassen, nur um meinem Anblick zu entgehen.
    Ich bin es leid, Vermeer zu verarschen. Er ist ein netter Kerl und schreibt seitenweise Berichte über mich, in denen er nach Hinweisen für meine Stummheit sucht. Er will mich ergründen, mich entschlüsseln. Dabei ist alles in Ordnung mit mir. Jedenfalls bin ich kein Selbstmordkandidat. Davon gibt es hier drin genug. Letzte Woche hat Stan sich mit den Scherben eines Blumentopfs die Pulsadern aufgeschnitten.

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