Nach uns die Kernschmelze
Dabei wissen wir inzwischen, dass unser Planet eine Anhebung des globalen Konsumniveaus auf das jetzige amerikanische und europäische nicht verkraften würde. Wenn wir die Erhaltung dieses Niveaus zur Bedingung machen, dann erscheint uns die Entdeckung der Kernenergie wiederum als Beweis für die prästabilierte Harmonie, nach welcher alles so gekommen ist, wie es kommen musste. Aber wo steht das geschrieben?
Das Abenteuer der Existenz des Homo sapiens ist das Resultat von Zufällen in eins mit der Reaktion des Menschen auf diese Zufälle. Auch die Entdeckung der Kernenergie im 20. Jahrhundert ist ein solcher Zufall. Wenn es ihn nicht gegeben hätte oder wenn es ihn erst 200 Jahre später gegeben hätte, sähe die weitere Geschichte der Menschheit anders aus, als sie nun aussieht. Aber sie wäre deshalb nicht zu Ende. Angesichts des immensen Zuwachses an Macht des Menschen muss es in Zukunft Dinge geben, die wir uns aus guten Gründen verbieten. Und erst wenn wir dieses Verbot wie eine naturgegebene Unmöglichkeit und uns selbst als mit dem Rücken an der Wand stehend betrachten, werden die kreativen Kräfte mobilisiert, die erforderlich sind, um die weitere Entwicklung der Menschheit nicht auf den fortschreitenden Verbrauch von Zukunft zu gründen. Wer die genannten Hintergrundüberzeugungen nicht preiszugeben bereit ist, der sollte sich doch beeindrucken lassen von der Gefahr, die Carl Friedrich von Weizsäcker veranlasste, sein früheres Plädoyer für Atomkraftwerke zurückzunehmen: die Gefahr des Terrorismus. Um sie auszuschließen, müsste unser Land sich in einen Polizeistaat verwandeln. Es ist einfach Hybris, die Welt so zu möblieren, dass sie nur dann bewohnbar bleibt, wenn alle Menschen gut sind. Dass sie es seien, ist die letzte Hintergrundüberzeugung. Sie ist ebenso hartnäckig wie erwiesenermaßen falsch.
5.
»Wo war Gott in Japan?« (2011) 6
Japan wurde von Katastrophen heimgesucht, die das bisher Denkbare und Erklärbare übersteigen. Bei Ereignissen von solch schrecklichem Ausmaß kommt gewöhnlich die Frage nach Gott ins Spiel. Wo war Gott in Japan?
Die Frage wird immer wieder gestellt. Bei uns lautet bisher die klassische Frage: Wo war Gott in Auschwitz? Meine Antwort an den Spiegel , der die Frage stellte, lautete: Am Kreuz. In Auschwitz wirkte die teuflische Bosheit von Menschen. In Japan handelt es sich um ein ungeheuerliches Zusammentreffen von drei Katastrophen. Die Frage, wo Gott war, wird in solchen Situationen immer gestellt. Aber sie stellt sich auch ohne dass ich etwas von Auschwitz oder Japan weiß, schon wenn ich zum Beispiel höre, dass ein kleines Kind von seinen Eltern auf bösartige Weise zu Tode gequält wurde. Nach Katastrophen entsteht eine gewisse Hysterie, die auf die Größenordnung schaut, da muss sich Gott speziell rechtfertigen. Bei kleineren Sachen ist man bereit, darüber hinwegzusehen. Gott hingegen sieht über gar keine Sache hinweg.
Wie kann er es dann zulassen?
Darauf gibt es eine klare biblische Antwort im Buch Hiob. Hiob fragt sich, warum ihm so viel Unglück zustößt. Seine Freunde betreiben Theodizee und erklären ihm, dass Gott gerecht ist und die Schuld bei Hiob selbst liegt, weil Gott ja nicht schuld sein kann, dass so Schreckliches passiert. Dann tritt Gott selbst auf und weist die Freunde in ihre Schranken. Er sagt: Sie haben überhaupt keine Ahnung. Sie kennen Gottes Motive nicht. In Hiobs Protest ist immer noch mehr Wahrheit als in der Theodizee der Theologen.
Und wie reagiert der bedrängte Hiob?
Gott redet mit Hiob am Ende selbst unter vier Augen und fragt ihn: Wo warst du denn, als ich die Sterne gemacht habe? Als ich das Krokodil gemacht habe, das Nilpferd und den Leviathan? Hast du mir dabei geholfen? Hast du irgendeine Ahnung über den Kosmos? Diese Antwort stößt Hiob nicht ab, sondern sie bringt ihn zur Besinnung:
Er vertraut auf Gott, trotz allem, was geschieht. Seine Frau sagt ihm: Verfluche Gott und stirb. Hiob aber sagt: Wir haben von ihm das Gute genommen, sollten wir dann nicht auch das Böse annehmen? Der Name desHerrn sei gepriesen. Ein ermordeter Jude in Auschwitz schrieb in einem herausgeschmuggelten Testament: Gott, mach mit uns, was du willst. Du wirst es nicht schaffen, dass wir aufhören, dich zu loben. Dieses gewaltige Paradox versteht nur ein gläubiger Mensch.
Die Gnade des Glaubens liegt also darin, auch in der Not im Vertrauen bleiben zu können?
Vertrauen – das ist das A und O des Glaubens.
Angesichts
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