Nach uns die Kernschmelze
dafür irgendeinen Anspruch zu erheben, dass das eine zwingende Schlussfolgerung wäre. Möglich ist auch eine ganz andere Wendung, denn dasselbe Neue Testament spricht von einem tausendjährigen Reich der Herrschaft Christi, bevor der Antichrist kommt. Es könnte ja auch sein, dass uns noch eine große Zeit bevorsteht, in der viele Menschen Christen werden. Ich persönlich sehe das eher nicht, aber ich wäre gern bereit, mich vom Gegenteil überzeugen zu lassen.
Also, Endzeit ja. Aber ob diese Zeitspanne sich in Jahrzehnten, -hunderten oder -tausenden fassen lässt, das ist wiederum Gottes Sache?
Richtig. Aber wenn solche Ereignisse sich häufen, dann haben wir allen Anlass, sie als Zeichen zu nehmen.
Die Bibel fordert das Volk auf, immer wieder froh und voller Hoffnung zu sein. »Seid nicht bekümmert, denn die Freude am Herrn ist Eure Stärke.« Woher nehmen Christen Trost und Freude angesichts der Ereignisse dieser Tage?
Aus der Verheißung. Wenn Dostojewskis Iwan Karamasow sagt, er will die Eintrittskarte in den Himmel zurückgeben, wenn diese über die Ermordung eines einzigen, unschuldigen Kindes geht, dann kann man darauf nur antworten: Das Universum interessiert sich nicht dafür, ob du die Eintrittskarte zurückgibst oder nicht. Nur was du tust, ist Folgendes: Du willst nicht zustimmen zu einem Reich, in dem dieses getötete Kind wieder leben und getröstet sein wird – in Ewigkeit. Stattdessen möchtest du daran festhalten, dass das Böse das letzte Wort hat.
Das heißt, wir neigen heute dazu, in unserem Leben und Denken im Horizont des Diesseits zu versacken?
Ja. Aber es war nie sehr anders.
Und Sie meinen, die Freude und die Hoffnung des Christentums strahlt uns vor allem aus dem »Darüber-Hinaus« entgegen?
Ja. Man versucht uns heute so ein Soft-Christentum beizubringen. Und das hat Tradition. Aber wenn der Apostel Paulus sagt: »Wir haben hier keine bleibende Statt, unsere Heimat ist im Himmel«, dann ist das eine klare Ansage, um sich auszurichten und nicht um sich einzurichten. Es hat mich viele Jahre innere Anstrengung gekostet, dass katholische Prediger mir in der Nazi-Zeit versucht haben auszureden, was da gesagt ist. Ich habe aber erfahren, dass diese unbequeme Botschaft des Paulus eine Quelle der Freude ist. Anders als bei einem Geschichtsoptimismus. Da strengt man sich sehr an, aber wenn die Sache schiefgeht, ist man tief frustriert. Und die Welt ist voll von zynisch gewordenen Idealisten.
Wohl, weil das Gute eben flüchtig ist?
Man kann schon bei Platon lernen, dass alle Gestalten des guten Lebens vergänglich sind, so wie das Leben überhaupt. Aber wenn irgendwo eine Gestalt guten Lebens realisiert wurde, dann hat das eine Ewigkeitsbedeutung. Das ist bei J.R.R. Tolkien im »Herrn der Ringe« so schön. Als Sauron am Ende besiegt wird, heißt es: »Und es war Frieden für lange Zeit.« Es war kein ewiger Friede, sondern ein langer. Mehr können wir nicht hoffen. Aber wir tun jetzt, was wir können, um eine gottgewollte Gestalt eines friedlichen Lebens zu verwirklichen. Wie lange das andauert, das liegt in Gottes Hand.
Mit Gott lässt sich auch hadern, etwa wenn wir in die Psalmen und Klagelieder schauen. Was lässt sich daraus für diese Tage schöpfen?
Wir können unsere Klagen vor Gott bringen. Sie trennen uns nicht von ihm. Wir müssen nicht sagen: Ich kann sowieso nicht in Gottes Geheimnisse schauen, also brauche ich mich nicht dafür zu interessieren. Sondern umgekehrt: Ich kann das Leiden und mein Unverständnis vor Gott bringen.
Vor Gott bringen – meint es in die Beziehung bringen, es vor ihm aussprechen?
Natürlich. Das kann bis zum Hadern gehen. Es ist interessant, dass in den Psalmen immer wieder Gott angerufen wird, uns zu helfen »um deines Namens willen«. Eswird an Gottes Eigeninteresse appelliert: Du kannst doch nicht wollen, dass die Heiden sagen: Wo ist denn ihr Gott? Deine eigene Ehre steht ja auf dem Spiel. Oft macht der Psalmist, der Gott anruft, Gott gegenüber Gott geltend. Er sagt: Du bist Gott, das impliziert Verpflichtungen. Wir können zwar nicht genau sagen, welche, aber wir müssen vertrauen, dass er auch tun wird, was er sich selbst schuldig ist.
Was können Christen in diesen Tagen tun?
Praktische Hilfe ist geboten. Wenn die Menschen in Zeltstädten frieren, brauchen sie warme Decken. Es gibt immer zwei Dinge, die man tun kann: helfen und beten. Übrigens auch in umgekehrter Reihenfolge.
6.
Die Vernunft, das Atom und der Glaube
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