Nachhaltig tot (German Edition)
du hast doch einen guten Geschmack.“ „Ja, ja.“ Die Stimme seiner Frau klang eingeschnappt, „die passenden Einstecktücher habe ich dir übrigens auch besorgt. Du kannst es dir ja vorher wenigstens mal ansehen, wenn ich mir schon diese Mühe mache – oder ist das alles zu viel verlangt?“ „Ja, Liebes, wie du willst“, murmelte er abwesend und fügte hinzu: „Ich muss jetzt leider wirklich Schluss machen. Bis später.“ Er legte auf und ging hinüber zum Fenster, wo er sich abermals die Stirn trocken tupfte. Nach dem Anruf, den er vor etwa zwei Stunden erhalten hatte, hatte er nun wirklich andere Sorgen als die Wahl seiner Fliege und des dazu passenden Einstecktuches. Jetzt kam es vor allem darauf an, dass er sich in den nächsten Stunden wieder in den Griff bekam, er seine Rede heute Abend fehlerfrei über die Bühne brachte und dass ihm auf dem Empfang, um Himmels willen, niemand etwas anmerkte.
***
„… und so beglückwünschen wir nicht nur Sie, sondern uns alle zu dieser gelungenen Transaktion, die ein klares Zeichen für die Region setzt und auch nachhaltig dazu beitragen wird, die Umweltsituation für uns alle zu verbessern. Stellvertretend für alle anderen möchte ich unserem Minister, Herrn Dr. Theodor Blum, danken, denn ohne dessen maßgeblichen Beitrag und ruhelosen Einsatz hätte dieses Projekt mit Sicherheit nicht so schnell und erfolgreich abgeschlossen werden können. Der Minister möchte nun auch einige Worte an Sie richten. Herr Dr. Blum, darf ich Sie dazu auf die Bühne bitten?“ Als Theodor Blum sich von seinem Platz erhob, um der Einladung seines Kollegen zu folgen, war er zumindest äußerlich wieder ganz der Alte. Zusammen mit seiner Frau hatte er sich für eine fliederfarbene Fliege mit dem dazu passenden Einstecktuch entschieden. Als er die Bühne betrat, wirkte er auf die Zuschauer wie immer – selbstsicher und souverän. „Vielen Dank, lieber Herr Meyer-Heimut“, begann Dr. Blum seine kurze Ansprache. Er betonte noch einmal, wie wichtig für die Region der reibungslose Verkauf des Solarparks an das Land sei. Schließlich handele es sich um den zurzeit größten Solarpark Deutschlands. Der frühere Eigner, ein spanisches Investmentunternehmen aus dem Bereich alternative Energien, hatte die Anlage für zehn Milliarden Euro an das Land Mecklenburg-Vorpommern verkauft. Der gesamte Park war nun in öffentlicher Hand. „Auf diese Weise wird es uns möglich sein, den Solarpark weiter auszubauen, ihn später um einen Windpark zu ergänzen und so den Ausstieg aus der Atomenergie maßgeblich zu kompensieren“, lobte Dr. Blum die Transaktion. „Dadurch schaffen wir 500 bis 1000 neue Arbeitsplätze, sichern die Energieversorgung des Landes und werden auf lange Sicht zu einem der wichtigsten Energielieferanten Deutschlands aufsteigen.“ Frenetischer Beifall setzte ein, bevor Dr. Blum endete. „Lassen Sie mich vielleicht nur noch so viel sagen, meine Damen und Herren – ich denke hier und mit dem heutigen Tage können wir ohne zu übertreiben sagen: Die Zukunft hat begonnen!“
***
Als Nadja sich in ihrem Smart der beschriebenen Stelle näherte, konnte sie schon von weitem die großzügige Absperrung des Fundortes mit Flatterband erkennen. Ihre Kollegen gingen geschäftig hin und her. Sie parkte zwischen zwei Polizeiautos und noch bevor sie sich abschnallen konnte, stand ihr Kollege Jan neben ihrem Auto und klopfte an die Scheibe. Nadja lächelte ihm zu. „Guten Morgen - hast du es schon gesehen?“, begrüßte sie ihn, als sie ausstieg. Jan schüttelte den Kopf. „Ich bin auch eben erst angekommen.“ Nadja verzog den Mund. „Na, dann wollen wir wohl mal“, forderte sie ihren Kollegen mit gespielter Begeisterung auf. Gemeinsam bahnten sich die beiden einen Weg vorbei an den Mitarbeitern der Spurensicherung, den Fotografen und dem Kriminaltechnischen Dienst, kletterten unter der Flatterband-Absperrung hindurch und wiesen einen Journalisten, der sich unter die Kriminalbeamten gemischt hatte, scharf an, das Gelände sofort zu verlassen. Der diensthabende Gerichtsmediziner hatte die Leiche bereits mit einem weißen Tuch abgedeckt, dass er nun wieder zurückschlug, als er Jan und Nadja kommen sah. Der tote Körper lag auf dem Bauch, das Gesicht im Sand. Der linke Arm war gerade nach hinten ausgestreckt, der rechte Arm in einer unnatürlichen Stellung abgeknickt. Der junge Mann, der hier vor ihnen im Sand lag, trug ein blaues Polohemd und eine beigefarbene Stoffhose. Einen
Weitere Kostenlose Bücher