Nachhaltig tot (German Edition)
gegen den Vorstand des Unternehmens.
Regierungsseitig wurde sowohl von Russland als auch von den Deutschen erklärt, dass es sich um mafiöse Machenschaften handele, von denen man nichts gewusst habe. Die Europäische Union setzte eine Expertenkommission ein, Verbraucherverbände machten mobil und die Finanzbehörden ermittelten. In der zweiten Woche wurde der Ruf nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss laut.
Währenddessen unternahmen Beatrice Bernstein und Alfred Kronwitter Spaziergänge entlang der fehmarnschen Ostseeküste und beobachteten das Treiben in den Medien aus der Ferne. Als sie eines Abends ins Hotel zurückkamen, lag an der Rezeption ein Päckchen, das von einem Mann abgegeben worden war, der schöne Grüße vom Café Norman ausrichten ließ. Das Paket enthielt einhunderttausend Euro in großen Scheinen.
Als die Journalisten nach Berlin zurückkamen und die Redaktion betraten, wartete dort bereits ein Vertreter des Bundesnachrichtendienstes auf sie. Kurze Zeit später erschien auch ein Mitarbeiter des Generalbundesanwaltes, bald darauf ein Vertreter der russischen Botschaft. Alle Befragungen verliefen ohne Ergebnis, denn Beatrice und Alfred konnten keinerlei Hinweise auf die Identität des Russen geben. Alles andere schien die Besucher nicht zu interessieren. Von dem Geld, das sie erhalten hatten, erzählten die Journalisten nichts.
So vergingen Tage und Wochen, ohne dass sich außer verbalem Schlagabtausch in den Medien irgendetwas tat. Auch der Gaspreis änderte sich für die Endverbraucher nicht, obwohl zahlreiche Klagen gegen die Rechtmäßigkeit von Abrechnungen erhoben wurden.
Nach einem halben Jahr hatte der parlamentarische Untersuchungsausschuss seine Arbeit ergebnislos abgeschlossen. Zwar waren einige Unregelmäßigkeiten und Ungereimtheiten ans Tageslicht gezerrt worden, aber ein Durchbruch war nicht zustande gekommen. Ein von der Opposition angestrebtes Misstrauensvotum gegen den Kanzler hatte dieser unbeschadet überstanden. Die Expertenkommission der EU hatte es nicht einmal geschafft, einen Abschlussbericht vorzulegen, weil man sich über eine gemeinsame Formulierung nicht einigen konnte. Es schien, als ob die Sache in Vergessenheit geraten würde.
***
„Hast du die Tagesthemen gesehen, Freddie?“
Beatrices Stimme am Telefon klang fast panisch.
„Nein, was gibt’s denn so Besonderes, dass du mich um diese Zeit anrufst?“
„Die Russen haben Soltchovitch erneut unter Anklage gestellt, diesmal wegen Spionage. Und Anna Bulikova ist im Gefängnis angeblich an einer Lungenentzündung gestorben.“
„Das ist alles andere als ein Zufall.“
„Was machen wir jetzt?“
„Ich weiß nicht, kannst du herkommen? Wir sollten das nicht am Telefon besprechen.“
„Bist du alleine? Ich will nicht stören.“
„Quatsch, du störst doch nicht. Wer sollte mich besuchen?“
„Weiß man`s? In einer halben Stunde? Ich bring `ne Flasche Wein mit.“
„Und deinen Pyjama. Kann sein, dass es eine lange Nacht wird.“
„Ist das eine Drohung?“
„Wie bist du denn drauf? Ich könnte dein Vater sein. Naja, fast.“
„Mein Gott, das sollte ein Scherz sein. Also, bis gleich.“
„Seltsamer Humor zur falschen Zeit“, murmelte Kronwitter und legte auf.
Zwei Tage später erschien in der Berliner Lupe ein Artikel, der die Diskussion um die Gaslieferungen aus Russland neu entfachte.
Am Gas klebt Blut
Von B. Bernstein und A. Kronwitter
Kaum ist die Diskussion um die angeblichen Betrügereien beim deutsch-russischen Gasgeschäft verhallt, versucht Russland offenbar, unliebsame Mitwisser kaltzustellen. Glaubt man bei der erneuten Anklage gegen den ehemaligen Erdgasmanager Wladimir Soltchovitch vielleicht noch an eine konsequente Fortführung gewohnter russischer Machtdemonstration, so kann der Tod von Anna Bulikova zu diesem Zeitpunkt kaum ein Zufall sein.
Während in Deutschland langsam Gras über die Sache wächst, räumt Russland im eigenen Land kräftig auf, allerdings an der falschen Stelle. Reporter der Berliner Lupe haben bereits vor Monaten die dubiosen Machenschaften rund um das deutsch-russische Gasliefergeschäft aufgedeckt und eine peinliche Diskussion in Gang gesetzt. Während der Ruf nach Aufklärung, von den Mächtigen geschickt lanciert, in Deutschland langsam verhallt, versuchen die Russen jetzt offenbar, Zeitzeugen kaltzustellen oder aus dem Weg zu räumen. Der Berliner Lupe waren bereits zum Zeitpunkt der ersten Berichterstattung die Namen von
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