Nachhaltig tot (German Edition)
bringen.“ Er machte eine Pause. „Sicher klärt sich das alles ganz bald auf“, murmelte er. Melanie schnäuzte sich in ein Papiertaschentuch, konnte aber nicht aufhören zu weinen. Der Praktikant nahm den Laptop, der in der Tasche mit dem großen Kanzleilogo darauf neben dem Schreibtisch verstaut war. Etwas unschlüssig ging er auf das noch immer schluchzende Mädchen zu. „Soll ich dich nach Hause bringen?“, erkundigte er sich. Melanie schüttelte den Kopf. „Bitte nicht“, flüsterte sie, „ich muss jetzt allein sein.“
***
„Also, der Vermisste ist 28 Jahre alt und Rechtsreferendar. Er ist vor fünf Tagen verschwunden. Seine Freundin hat ihn vermisst gemeldet, nachdem er vier Tage lang nichts von sich hat hören lassen.“ Jan stand im Türrahmen zu ihrem gemeinsamen Büro und las Nadja aus der Akte des Vermissten vor. „Wohnen seine Eltern oder irgendwelche Verwandten in der Nähe?“, wollte Nadja wissen. Jan blätterte durch die Papiere und suchte nach einer Adresse der Familie. „Sieht nicht so aus“, murmelte er. Nadja stand von ihrem Schreibtisch auf. „Dann versuchen wir es erst einmal bei der Freundin. Soll ich fahren?“, fragte sie. Auf dem Weg durch die Stadt war um diese Zeit nicht viel los und sie kamen gut voran. Nadja hing ihren Gedanken nach und musste an ihre eigene Studienzeit denken, die eigentlich auch noch gar nicht so lange her war, ihr aber schon unglaublich weit weg vorkam. Was hatten sie damals für tolle Partys gefeiert … „Oh Mann, diese Geschichte mit dem Solarpark nervt aber langsam wirklich“, riss ihr Kollege sie aus ihren Gedanken. Verärgert drehte er das Radio leiser, um die Nachrichten nicht schon wieder hören zu müssen. Seit Tagen wurde über nichts anderes mehr berichtet, als über den Verkauf des Solarparks an das Land Mecklenburg-Vorpommern. „Was regst du dich denn so auf, das ist doch wirklich eine gute Sache“, äußerte sie. „Ja, vielleicht, aber diese ständige Selbstbeweihräucherung unserer Politiker ist doch wirklich ekelhaft. Die klopfen sich doch die ganze Zeit nur selber auf die Schulter, und das nicht, weil sie so viel Gutes für Mensch und Umwelt tun, sondern weil sie damit vor allem wieder eins machen – jede Menge Geld!“ Nadja musste über den kleinen Wutausbruch ihres Kollegen schmunzeln. „Ganz so kannst du es aber auch nicht sehen. Vor allem, da wir in unserer Region so eine hohe Arbeitslosenquote haben - 500 bis 1000 Arbeitsplätze mehr für die Leute sind doch der reinste Segen.“ „Ja, wenn sie Techniker oder Ingenieure sind, vielleicht“, echauffierte sich der Kommissar, „aber für alle anderen wird das nicht viel bringen. Ich hoffe nur, dass die vor lauter Freude über ihr Riesenprojekt auch die gesetzlichen Bestimmungen nicht vergessen, die hässlichen Dinger nur dorthin bauen, wo sie es dürfen und die Kulturlandschaft nicht vollkommen zerstören. Dann fallen deine Arbeitsplätze nämlich umgekehrt im Tourismus weg, wenn hier demnächst keiner mehr Rad fahren oder Zelten gehen kann, weil alles mit Solaranlagen und Windrädern vollgepflastert ist.“ Nadja verdrehte die Augen. Sie war genervt vom plötzlichen Meinungsumschwung ihres Kollegen, der doch sonst immer für den Umweltschutz zu haben war. „Sie werden den Energiepark schon nicht mitten in ein Naturschutzgebiet bauen“, versuchte sie ihn zu beschwichtigen. In diesem Moment erreichten sie das Haus der Studentin. Nadja parkte gekonnt in einer kleinen Lücke, schräg gegenüber. Keine zwei Minuten später standen die beiden Beamten vor der Wohnung im dritten Stock. „Sind Sie Frau Leimer?“, fragte Nadja, als Sophie die Tür öffnete. „Nein, das ist meine Mitbewohnerin“, antwortete die junge Frau zögernd und trocknete ihre Hände an einem Geschirrtuch ab. „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“ „Wir sind von der Kriminalpolizei“, erklärte Jan und stellte sich und seine Kollegin vor. Sophie bat die beiden Kommissare herein und bot ihnen einen Kaffee an. „Melanie muss eigentlich jeden Moment zurück sein“, erklärte sie, während sie die Kaffeemaschine vorbereitete. Nadja und Jan nahmen an dem großen Küchentisch Platz und sahen sich in der bunten Mädchen-WG-Wohnküche um. Am Kühlschrank klebten Postkarten mit fröhlichen Motiven, auf dem Tisch stand eine kleine Milchkanne in Form einer Kuh. Auf der Fensterbank stand und lag jede Menge Nippes. Nadja fühlte sich wie eine Spielverderberin, die die beiden jungen Frauen nun mit einem Mal aus
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