Nachhaltig tot (German Edition)
ich komme von Fürst, Hofbauer und Walskamp“, stellte er sich vor, „könnte ich mit Melanie Reimer sprechen?“ „Leimer“, korrigierte Sophie und bat ihn zu warten. Sie schloss die Tür und huschte zurück in die Küche der Altbauwohnung. „Mel, da ist jemand von der Kanzlei. Er hat aber nicht gesagt, was er will, nur, ob er dich sprechen kann?“ Melanie sprang sofort erschrocken auf. Hoffentlich hatte Marcel nicht einen Unfall bei der Arbeit oder auf dem Weg zur Arbeit gehabt und jemand von der Kanzlei wollte sie jetzt darüber informieren? Aber hätte das dann so lange gedauert? Melanies Gedanken überschlugen sich, als sie an die Tür trat und den Praktikanten aus der Kanzlei erkannte. „Hallo“, begrüßte er sie zögernd, „es geht nur darum – Marcel ist ja jetzt seit ein paar Tagen nicht mehr auf der Arbeit gewesen und er hatte sich einige wirklich wichtige Akten mit nach Hause genommen. Hätten Sie vielleicht einen Schlüssel für seine Wohnung und könnten wir gemeinsam dort hinfahren, um die Akten zu holen?“ Melanie wusste nicht, was sie sagen sollte; Erleichterung und Bestürzung wechselten sich ab. Sie konnte doch nicht einfach an diese Akten gehen!? Schließlich nickte sie. „Wenn es so wichtig ist. Wir können laufen, es ist nicht weit von hier.“
Während sie und der Praktikant schweigend nebeneinander herliefen, versuchte Melanie verzweifelt, die Panik zu bekämpfen, die in ihr aufstieg. Sie war kurz davor, erneut in Tränen auszubrechen, kämpfte aber tapfer dagegen an. Ihre Beine zitterten, sie fühlte sich, als würde sie in einem viel zu weich bespannten Trampolin gehen, als könnten ihre Knie jeden Moment nachgeben. Ihr Mund war so trocken, dass sie kein einziges Wort herausbringen konnte. Sie öffnete die Lippen und schnappte ein wenig von der frischen, noch kühlen Luft, um die Tränen, die noch immer mit Macht aus ihr herausbrechen wollten, zurückzuhalten. Ihre Hoffnung, dass ihr Freund in den letzten Tagen in der Kanzlei in einem wichtigen Projekt versackt war und sich einfach deshalb nicht gemeldet hatte, war mit einem Schlag zerstört. Aber wo war er dann? In seiner Wohnung war sie schon vor drei Tagen gewesen, auch wenn sie wusste, dass Marcel es hasste, wenn sie eigenmächtig ihren Schlüssel benutzte, der eigentlich nur für Notfälle gedacht war. Er war nicht dort gewesen und bis jetzt hatte sie sich an die Hoffnung geklammert, dass ihr Freund dann wohl auf der Arbeit so eingespannt war, dass er sich nicht einmal bei ihr melden konnte. Trotzdem hatte sie ihn am Tag zuvor als vermisst gemeldet, auch wenn sie Angst gehabt hatte, dass das übertrieben war und er vermutlich wütend darüber sein würde. „Aber bitte nichts anfassen, und wir müssen schnell machen. Marcel mag das nämlich eigentlich gar nicht, wenn ich einfach so ungefragt in seine Wohnung gehe – noch dazu mit einem Fremden“, wandte sie sich mit kratziger Stimme an den Praktikanten, als sie die Wohnungstür aufschloss. Es half ihr irgendwie, wenn sie so tat, als wäre heute ein ganz normaler Tag und als könnte Marcel jeden Moment nach Hause kommen. Gemeinsam betraten sie die helle Wohnung mit dem beigen Teppichboden und den weiß gestrichenen Türen. Durch den Flur gingen sie an der Küche und dem aufgeräumten Schlafzimmer vorbei ins Wohnzimmer, in dem Marcels großer Schreibtisch stand. „Ich glaube, da liegt schon alles“, sagte der Praktikant und blätterte kurz in den Akten, die akkurat auf der linken Seite des Schreibtisches gestapelt lagen. „Ich nehme die hier schon mal mit“, erklärte er, während er die Dokumente in seine große Umhängetasche steckte. Melanie hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Bei dem Anblick, wie er dort die Arbeitsunterlagen ihres Freundes zusammenpackte, krampfte sich ihr Magen zusammen. Irgendwie schien der Kanzleibote das auch zu merken und sah sie schuldbewusst an. „Ich soll dann noch den Firmenlaptop mitnehmen“, sagte er kleinlaut. Melanie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. „Aber warum denn?“, schluchzte sie. „Soll das etwa heißen, dass er gekündigt ist?“ Der Student schien mit der Situation sichtlich überfordert zu sein. Unbeholfen machte er einen Schritt auf sie zu. Er breitete kurz seine Arme aus, als wolle er sie umarmen, überlegte es sich dann aber doch anders und berührte nur ihren Oberarm. „Ich … ich glaube nicht, die meinten nur, es wären noch wichtige Dateien darauf und ich soll ihn deshalb zurück ins Büro
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