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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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gewichten. Was also wollen und was sollen Menschen wissen?
    Fest steht: Niemand wird jemals Spezialist für alles sein. Aristoteles, Kopernikus, Galilei, die Universalgelehrten der Vergangenheit, waren das auch nicht. Aber dafür schufen sie Entwürfe, gewaltige Panoramen. Was das Bildungswesen heute ist, wurde es erst, als die Erbauer der berühmten Elfenbeintürme begannen, Fachgebietsschutz anzumelden. Doch Fachidioten sind nicht entwicklungsfähig. Was bringt es, alles über eine Kuh zu wissen, nur nicht, dass sie eine Kuh ist? Insbesondere nach den Ereignissen in Südostasien denke ich, dass der Versuch der Welterklärung nicht darin gipfeln sollte, Menschen mit akademischen Details in den Bildungswahnsinn zu treiben. Sondern dass man sie für das Faszinosum Zukunft begeistern muss, für die großen Entwürfe, für die Baupläne künftiger Gesellschaften, für die Funktionsweise unseres Planeten, für globale Zusammenhänge. Seit Dezember 2004 jagt eine Tsunami-Reportage die andere. War der Begriff bis dahin unbekannt gewesen, hatte er 2005 beste Chancen, zum Wort des Jahres erklärt zu werden (das Rennen machte dann »Bundeskanzlerin«). Morgen allerdings werden andere Ereignisse unsere Aufmerksamkeit beanspruchen, und übermorgen haben wir Südostasien womöglich wieder vergessen. Wenn die Halbwertzeit des Wissens nur wenige Jahre beträgt, wird es wenig nützen, eine zusätzliche Vokabel im Repertoire zu haben, und Tsunamis sind komplexe Gebilde.
    Was also genau hat den Tsunami vor Südostasien ausgelöst?
    Vorweg: Der Name kommt aus dem Japanischen und trägt die Besonderheit des Phänomens schon in sich. Tsu heißt Hafen, Nami bezeichnet die Welle. Ein Tsunami ist also eine Hafenwelle, die sich erst dort beziehungsweise unmittelbar vor der Küste aufbaut. Japanische Fischer bekamen auf hoher See nichts davon mit, um bei ihrer Heimkehr Dorf und Gestade verwüstet vorzufinden: daher der Name. Lange Zeit konnte sich niemand erklären, wie solche Wellen — teils bei schönstem Wetter — entstanden. Heute wissen wir: Der Wind, das himmlische Kind, kann nichts dafür. Ein Tsunami wird nicht durch Sturm erzeugt, ebenso wenig wie er auf die Wasseroberfläche beschränkt bleibt. Während windgenerierte Wellen Spitzengeschwindigkeiten bis maximal 90 Stundenkilometer erreichen, rast ein Tsunami mit 700 km/h und mehr von seinem Ausgangspunkt los. Schnelligkeit und Höhe hängen von der Ursache seines Entstehens ab.
    Grundsätzlich unterscheidet man zwei Arten von Tsunamis. Nur für eine davon trifft zu, was den Tsunami in Südostasien kennzeichnete (und auch die Welle im Schwarm): keine nennenswerte Wellenhöhe im offenen Meer, dafür immense Wellenlängen, Aufschichtung erst an der Küste. Gemeinhin entstehen Tsunamis dieser Kategorie als Folge tektonischer Aktivität. Westlich von Sumatra etwa grenzen zwei Erdplatten aneinander, die Eurasische Platte und die Indisch-Australische Platte. Der Kontinentalrand ist aktiv, das heißt, die Indisch-Australische Platte wird unter die Eurasische gedrückt, pro Jahr um etwas über sieben Zentimeter. Stückchen für Stückchen schiebt sich der Meeresboden in die Asthenosphäre, gleichmäßig und gesittet. Kleine, verträgliche Schübe treiben ihn voran, mitunter ruckelt es, was Mini-Tsunamis erzeugt, von denen allenfalls hoch spezialisierte Messgeräte etwas mitbekommen.
    Bis zum 26. Dezember 2004 war die Unterwasserwelt in Ordnung.
    Dann riss die Erde auf.
    Möglicherweise liegt die eigentliche Ursache für das verheerende Beben gar nicht vor Sumatra, sondern am entgegengesetzten Ende der Indisch-Australischen Platte, dort, wo sie an die Antarktische Platte stößt. In dieser Region war es zwei Tage zuvor zu gewaltigen Erdstößen gekommen. Die Wellen der Erschütterungen durchliefen die gesamte Platte und brachten sie vor Indonesien aus dem Gleichgewicht, sodass die Erdkruste auf einer Länge von 500 Kilometern aufbrach. Als Folge schnellte der Meeresboden bis zu 30 Meter in die Höhe. Weitere Stöße folgten und dehnten die Achse des Bebens auf 1.000 Kilometer aus. Unmengen Wasser wurden auf einen Schlag verdrängt. Eine Impulswelle raste los, deren Energie die ganze Wassersäule durchmaß. Weil die Ursache in der Tiefe lag, war an der Oberfläche zunächst wenig zu sehen. Die Wellenhöhe im offenen Meer dürfte bei einem Meter gelegen haben, mit extrem flachen Neigungswinkeln. Wer sich zu diesem Zeitpunkt an Bord eines Schiffes direkt über der Bruchkante aufhielt, bekam

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