Nachrichten aus einem unbekannten Universum
sie die Energie umliegender Wellen und türmen sich auf. Osborne hat Freak Waves im nichtlinearen Raum berechnet und dabei unter anderem den Megabrecher rekonstruiert, der 1995 die Draupner- Ölplattform erschütterte. Sein Fazit ist nicht nur für die Seefahrt beunruhigend: Es gibt sowohl die linearen, stabilen Wasserberge mit moderatem Gefälle als auch Steilwände, deren Zustandekommen sich jeder Vorhersage entzieht und die rechnerisch beliebig häufig sind.
»Es ist schon amüsant, sich vorzustellen, dass es zwei Arten von Wellen gibt«, sagt der Professor und lächelt still. Sein Amüsement gilt dem Umstand, dass die Aufprallenergie einer Freak Wave bei rund 100 Tonnen pro Quadratmeter liegt. Schiffskonstrukteure bekommen da ein gewisses Flackern in den Augen. Die Queen Mary 2 immerhin soll gegen Monsterwellen gefeit sein. Mit 40 Metern liegt ihre Brücke höher, als jede Freak Wave schlagen kann. Bug und Heck sind schwer gepanzert. Es wird zwar rappeln, sagen die Erbauer, auch das gute Geschirr kann Schaden nehmen, ansonsten wird nicht viel passieren.
God save the Queen!
Osborne zufolge können Freak Waves durch alles Mögliche ausgelöst werden. Mal sind Gegenströmungen verantwortlich, mal der plötzliche Anstieg des Meeresbodens, mitunter auch das exotische Zusammenspiel aller bekannten und unbekannten Faktoren, deren Niederschrift in ellenlangen Gleichungen zu erfolgen hat. In Meerengen können Wellen wie Licht gebündelt werden. Oder der Wind dreht sich abrupt. Auch ganz verschiedene Wellentypen verschmelzen unter Umständen zu einer Freak Wave. Kleine Wellen sind langsam, große legen ein beachtliches Tempo vor. Beim Zusammentreffen solch unterschiedlicher Wellenlängen kann urplötzlich der Effekt der Synchronisation auftreten.
Auch der Offshore-Industrie bereitet all das einiges Kopfzerbrechen. In der Regel liegen Bohrinseln 35 Meter über dem MeeresSpiegel. Alle 100 Jahre, heißt es, träfe eine Welle dieser Höhe eine Plattform. Doch Statistik ist mit Vorsicht zu genießen. Will man ihr glauben, haben Ehepaare anderthalb Kinder, 60 Prozent Hund, fahren eindreiviertel Auto, und ein Mensch kann in einem durchschnittlich zehn Zentimeter tiefen Gewässer ertrinken. Freak Waves lassen sich schon gar nicht vorschreiben, wo und wie oft sie aufzutreten haben. Konstrukteure von Plattformen mussten lernen, dass zwei oder drei solcher Wellen binnen eines Jahres für gewaltigen Ärger sorgen können, während sich im darauf folgenden Jahr keine einzige zeigt. Inzwischen sind viele der Inseln mit lasergesteuertem Wellenradar ausgerüstet. Damit lassen sich immerhin wertvolle Erkenntnisse gewinnen. Allerdings kann auch der Laser nur kundtun, was auf die Plattform zurollt. Vermeiden lässt sich der Zusammenstoß nicht. Was einem bleibt, wenn das Monster aus dem Meer steigt, ist, sich festzuhalten oder mit dem nächsten Helikopter das Weite zu suchen.
Damit mag sich Wolfgang Rosenthal nicht zufrieden geben. Max Wave heißt ein von der EU gefördertes Projekt unter Beteiligung des GKKS-Forschungszentrums in Geesthacht, mit dem Ziel, ein besseres Verständnis von Freak Waves zu erlangen. Auf der Nordsee-Forschungsplattform Fino messen Max-Wave-Koordinator Rosenthal und sein Team pausenlos Höhe, Steilheit, Aufprallenergie und Geschwindigkeit von Wellen, um den Entstehungsprozessen der Riesen auf die Spur zu kommen. Wichtiges Hilfsmittel ist der Wellenkanal, in dem sich geifernde Minimonster erzeugen lassen, die Spielzeugschiffe herumwerfen und ihre Gischt bis in drei Meter Höhe schleudern. Verschiedene Warnsysteme werden hier getestet. Besonders viel versprechend scheint ein Seegangsradar für Schiffe und Plattformen zu sein, die Hauptrolle werden aber unverändert Satellitendaten spielen. ENVISAT vermag Riesenwellen aus 800 Kilometern Höhe deutlich zu erkennen. An die 1.000 Bilder schießt der Satellit täglich, die jeweils eine Fläche von 50 Quadratkilometern erfassen. Das ist immerhin ein Anfang. Von einer lückenlosen Überwachung der Ozeane sind wir allerdings noch weit entfernt. Vier weitere Satelliten wären dazu erforderlich. Dennoch ist Rosenthal optimistisch, Kapitäne schon in wenigen Jahren so frühzeitig warnen zu können, dass die Chance eines schnellen Ausweichmanövers besteht: »Nachdem wir die Einzelwellen vom Satelliten her gesehen haben, sind wir guter Hoffnung, dass wir unser Ziel, ein Vorhersagesystem zu konzipieren, erreichen werden.« Ziel ist auch, Förderplattformen rechtzeitig
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