Nachrichten aus einem unbekannten Universum
was bitte schön ist ein Tsunami? Muss ich das wissen bei Wer wird Milionär? Droht so etwas in Deutschland?
Es gibt eine Frage, die mir häufig gestellt wird und die mich jedes Mal aufs Neue ärgert: »Wie konnten Sie das vorausahnen?« Jedes Mal stelle ich klar, dass ich weit davon entfernt bin, irgendetwas vorauszuahnen. Ich bin kein Prophet. Nur einer, der sich zufällig mit Tsunamis beschäftigt hat, so wie andere Menschen Experten auf dem Gebiet des Drachenfliegens, des Vulkanismus oder der Aufzucht von Seidenraupen sind. Eines allerdings trifft zu: Je mehr Material ich damals zusammentrug, desto öfter fragte ich mich, ob es zu meinen Lebzeiten noch einen Mega-Tsunami geben würde. Statistisch war er überfällig, außerdem geologischer Alltag. Dass die Realität meine Geschichte allerdings dermaßen schnell einholen würde, hatte ich nicht erwartet.
Die Art der Fragestellung macht eines klar: Wir verlernen, unseren Planeten zu verstehen. Es ist fast, als wolle man jemandem, der für die nächsten Wochen Regen vorhersagt, seherische Gaben unterstellen, wenn er dann fällt. Die Zeiträume zwischen Vulkanausbrüchen und davon ausgelösten Riesenwellen sind zwar größer als die zwischen Regengüssen, dennoch ist das eine so normal wie das andere.
Was mich ebenso erschreckt hat wie die Katastrophe selbst, war die Augen reibende Verwunderung, mit der offizielle Stellen reagierten, als sei das ganz und gar Undenkbare eingetreten. Was zeigt, dass selbst in den so genannten Wissensgesellschaften das elementare Weltverständnis im Schwinden begriffen ist. Stimmt, die breite Bevölkerung war davon noch nie durchdrungen. Den überwiegenden Teil der Menschheitsgeschichte fand sie wenig Gelegenheit, sich mit höherem Wissen zu versorgen. Vor dem Hintergrund eines Bildungsapparates, wie es ihn nie zuvor gegeben hat, mit über 100 Fernsehkanälen, Abendstudium und Internet, mutet die allgemeine Fassungslosigkeit im Angesicht eines sich räuspernden und schüttelnden Planeten jedoch grotesk an. Wohlgemerkt, ich spreche nicht von Betroffenheit. Ich rede von Hausaufgaben, die nicht gemacht worden sind.
Es sieht ganz so aus, als erweiterten wir täglich unseren Unverstand. Wir konsumieren Nachrichten, Werbung, Spielfilme, Zeitungsartikel und Dokumentationen, bis uns der Kopf dröhnt. Der Blick aufs große Ganze geht verloren, paradoxerweise, je mehr wir darüber erfahren. Atemlos hecheln wir einem selbst geschaffenen Informationsmonstrum hinterher, einem Frankenstein der Gelehrsamkeit, dessen Vorsprung sich stetig vergrößert. Dabei werden wir nicht wirklich klüger, sondern nur frustrierter. Zugleich wächst die Sehnsucht nach ominösen alten Zeiten. Sie wissen doch noch, wie das war, als wir in Höhlen saßen. Wissen Sie nicht? Macht nichts, Ihr genetisches Erbe weiß es. Es erinnert sich, dass wir als Höhlenmenschen eigentlich viel glücklicher waren. Jedes Mitglied der Sippe wusste und konnte annähernd das Gleiche, und nur der Schamane wusste ein bisschen mehr, weil er über Verbindungen verfügte. Alles hätte so schön sein können, wäre uns nicht der verdammte Fortschritt in die Quere gekommen. Plötzlich wussten einige einiges, von dem andere nichts wussten. Spezialisten, die sich — zunehmend klüger werdend — immer weniger geneigt zeigten, ihr Wissen zu vermitteln, während die Nichtwissenden immer weniger von dem verstanden, was die Spezialisten wussten, aber immer mehr darauf angewiesen waren.
Das Ergebnis kennen Sie. Heute wird uns tagtäglich ein ganzer Planet frei Haus geliefert, die Vergangenheit und die Zukunft sollen wir kennen und jegliche Form des technologischen Fortschritts nachvollziehen. Das Dumme ist bloß, dass wir am Grunde unserer Gene immer noch Höhlenmenschen sind, nur dass wir jetzt Höhlen mit Online-Zugang bewohnen. Dies an sich wäre nicht so schlimm, könnten wir uns auf die Spezialisten wenigstens verlassen. So wie früher. Wenn der Höhlenmensch nicht weiterwusste, lief er zum Schamanen, und der verhandelte die Sache mit den Göttern. Heute wimmelt es zwar von Schamanen, für alles und jedes gibt es einen — aber sie scheinen einander nicht zu verstehen. Würden die Wissenden dieser Welt zusammen ein Benutzerhandbuch für die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts schreiben, erhielten wir ein Flickwerk, das noch unverständlicher wäre als ein Diskussionsabend bei Sabine Christiansen.
Andererseits, solange unsere Gehirne Festplatten mit begrenztem Speicherplatz sind, müssen wir
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