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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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schon Surfbretter? Wo Menschen dennoch Schaden nehmen, spielen etliche Faktoren eine Rolle. Unfälle gab es beispielsweise im Bereich von Flussmündungen, wo große Mengen Süßwasserplankton ins Meer geleitet wurden. Solche Regionen sind naturgemäß gut besucht von Fischen. Entsprechend viele Haie finden sich ein, die im Eifer der Jagd mehr aus Versehen ins Surfbrett beißen und sogleich wieder davon ablassen. Mitunter ist die Sicht in nährstoffreichen Gewässern so schlecht, dass sich der Hai einzig auf seine Ohren verlassen muss und sich zu einer Art Blindverkostung durchringt. Dass Haie schlecht sehen, ist demnach kein Patzer der Natur, sondern logische Konsequenz ihrer Lebensweise. Viele Haie sind zudem nachtaktive Jäger, auch da spielt der Gesichtssinn kaum eine Rolle. Erst im Nahbereich liefert die Linse des Haiauges eine passable Auflösung. Will sich der Hai also auf seine Augen verlassen, muss er nah rankommen.
    Dies führt zu einem Verhalten, das besonders Taucher vielfach fehlinterpretieren. Ich selber hatte das Vergnügen, auf den Malediven zum Lions Head hinabzutauchen, einer unterseeischen Riffformation und Heimstatt diverser Riffhaie. Maledivischen Haien kann man ohne sonderliche Besorgnis ins Auge schauen. Sie finden in ihrem natürlichen Umfeld so viel zu fressen, dass sie verrückt sein müssten, Menschen anzufallen. Außerdem hat man in den geschützten Atollen vornehmlich Begegnungen mit Schwarzspitzen, Weißspitzen und grauen Riffhaien, die als ungefährlich gelten. Dennoch fragt man sich vor der ersten Begegnung besorgt, ob auch der Hai um seine Harmlosigkeit weiß. Entsprechend mulmig war mir im Boot. Ich hatte gerade meinen Tauchschein gemacht, war auf 40 Meter Tiefe gewesen und hatte das übliche Uberlebenstraining absolviert. Dazu gehört etwa, sich unter Wasser seiner Ausrüstung zu entledigen und alles wieder anzuziehen, oder Maßnahmen zur Rettung verletzter Partner zu ergreifen. Ich hatte mehrfach nähere Bekanntschaft mit Muränen gemacht und eine am Kinn gekrault, was Muränen übrigens lieben: Man kann sie förmlich schnurren hören. Auch kleinen Schwarzspitzen-Haien war ich zweimal begegnet, die grußlos an mir vorüberzogen. Doch diesmal war es anders. Ich suchte den unmittelbaren Kontakt. Und ich muss gestehen, dass ich, kurz bevor wir uns rücklings in die Wellen kippen ließen, an meinem Verstand zweifelte.
    Doch gleich darauf geschah etwas Sonderbares. Einmal abgetaucht, vergisst man jede Furcht. Man ist zu Gast in einer fremden, faszinierenden Welt, die nicht geschaffen wurde, um sich auf neugierige Großstädter zu stürzen. Entweder man wird ignoriert oder beschnuppert. Nur gefressen wird man nicht, sofern man nicht allerdümmste Fehler begeht oder ganz großes Pech hat. Sicher, ein Restrisiko bleibt. Doch sonntags im Stadtwald joggen zu gehen, wenn Luden-Ede seinen Pitbull ausführt, ist ungleich gefährlicher.
    Unter Wasser ändert sich alles.
    Zuvor hat man auf eine bedrohlich dunkle, wogende Fläche geschaut. Plötzlich schwebt man in einem Kosmos aus Licht. Noch ahnt man die Struktur des Riffs mehr, als dass man sie sieht. Es fällt steil in die Tiefe ab, bietet allerdings mit seinem charakteristischen Löwenkopf — einer weit herausstehenden Felsformation — und seinen natürlichen Beobachtungsterrassen prägnante Anhaltspunkte. Vorerst ist kein Hai zu sehen, überhaupt kein Tier. Nur Sonnenstrahlen wie Lanzen aus Licht. Dann schälen sich allmählich erste Einzelheiten heraus, während die Oberfläche zu einem Spiel irrlichternder Flecken wird. Vor allem das hat mich am Tauchen immer wieder fasziniert: wie schnell vertraute Umfelder ins Irreale entrücken. Hat man das Riff erreicht, findet man sich in einer neuen Wirklichkeit wieder. So ging es mir auch am Lions Head, als die zerklüftete Struktur Gestalt annahm. Und wieder gelangte ich in die Großstadt. Plötzlich waren sie da, die Schwärme von Schnappern und Füsselierfischen, prachtvolle Papageien- und Drückerfische, Zackenbarsche, die mit der Gemächlichkeit schwerer Limousinen unterwegs waren, wolkige Ansammlungen blau schillernder Glasfische, staksende Fangschreckenkrebse, Tintenfische und stoisch in der Strömung stehende Süßlippen. Rund um Lions Head ist das Wasser in ständiger Bewegung, ideal für Haie. Wir ließen uns auf 20 Meter Tiefe herab, bezogen Position auf einer der Terrassen und warteten.
    Und sie kamen.
    Ich weiß nicht, wie viele Haie wir an diesem Tag sahen, schätze aber, es müssen

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