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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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lediglich zwei winzige, an der Kopfoberseite gelegene Poren, von denen schmale Gehörgänge ins Innere führen. Es verdankt sich der Konstellation dieser Gänge, dass Haie jedes empfangene Signal in räumliche Koordinaten einordnen können und somit genau wissen, wohin sie zu schwimmen haben.
    Nun ist das Meer kein Supermarkt mit Selbstbedienungstheke. Wer hier satt werden will, muss jede Gelegenheit wahrnehmen und jedem Geräusch auf den Grund gehen. Wenn irgendwo ein Anker in die Tiefe rasselt, sind Haie zur Stelle. Ein Taucher, der ein Stück Koralle abbricht, kann mit diesem winzigen Knack das Interesse eines Hais auf sich lenken. Der wird herbeischwimmen, den Umweltsünder mustern und ignorieren, vorausgesetzt, dieser verhält sich ruhig. Und auch ein Surfer macht Geräusche. Ein Weißhai, der unter ihm hindurchschwimmt, wird einen mehr oder minder groben Umriss gegen eine gleißende Fläche wahrnehmen, der Geplätscher von sich gibt. Das Brett klatscht auf die Wellen, Arme und Beine verursachen unregelmäßige Schwingungen beim Paddeln. Unregelmäßige Frequenzen sind charakteristisch für verletzte Tiere. Also nähert sich der Hai, um nachzusehen, mit wem er es zu tun hat. Alles, was er sieht, ist ein Etwas, das verdächtig nach Robbe aussieht, und der Fall scheint klar.
    Wirklich? Gerhard Wegner wollte genauer wissen, was jetzt passiert. Er und der Schweizer Haiforscher Dr. Erich Ritter misstrauten der Verwechslungstheorie schon lange. 2004 führten sie auf hoher See eine Reihe spektakulärer Versuche mit Robotern durch. Ferngesteuerte Arme und Beine auf einem treibenden Surfbrett sollten ans Licht bringen, ob Haie von einem zappelnden Schattenriss zum Angriff animiert werden. Die zweite, speziell für das Experiment konstruierte Maschine war ein stabiler schwimmender Koffer, der Töne von sich gab, beliebige Frequenzen, Robbenlaute und anderes. Drittens befand sich ein Köder im Wasser, um den Appetit der Haie zu wecken, sowie teilweise Erich Ritter und Gerhard Wegner (pardon, teilweise heißt zeitweise: Ritter und Wegner stiegen als Ganzes ins Wasser und kamen im Ganzen wieder zum Vorschein).
    Die Dokumentation zeigt, dass die Verwechslungstheorie unhaltbar ist. Silhouetten interessieren Weiße Haie so gut wie gar nicht. Es bedurfte des Köders, dass sie sich überhaupt dazu herabließen, einen Blick auf das Arrangement zu werfen. Sobald die Surfer-Attrappe in Bewegung geriet, wurden die Haie schon neugieriger. Sie stupsten das Surfbrett behutsam mit der Nase an, auch mal einen Arm und ein Bein, bissen jedoch nicht, sondern verloren schnell das Interesse.
    Das erwachte umso stärker, als der Koffer begann, Geräusche von sich zu geben. Plötzlich waren die Haie ganz Ohr. Ritter und Wegner veränderten mehrfach die Frequenzen. Insbesondere chaotische Schwingungsmelodien brachten die Tiere schließlich dazu, Gaumenbisse an dem unförmigen Koffer anzubringen (ein Gaumenbiss ist ein behutsamer Biss, der dem Opfer keinen nennenswerten Schaden zufügt, sondern es auf seine Schmackhaftigkeit testet). Den direkt daneben agierenden Roboter ließen sie in Ruhe. Die Surfer-Attrappe mühte sich nach Kräften, ohne dass einer mit ihr spielen wollte. Immer gewann der Koffer, und fast immer wurde durch Bisse ausprobiert, ob er mundet.
    Wegner und Ritter konnten damit beweisen, dass es vor allem Geräusche sind, auf die Haie reagieren. Sie bringen die Tiere dazu, einen quadratischen Koffer zu attackieren, der nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem Lebewesen aufweist, jedoch die interessanteren Sounds von sich gibt. Silhouetten und sichtbare Bewegungen spielen kaum eine Rolle. Wenn der Hai schließlich zubeißt, macht er entweder den Geschmackstest oder entschließt sich zu einem kurzen Happs, der das Opfer schwächen soll. Fast alle Berichte über Haiattacken beschreiben einen blitzschnellen Angriff, gefolgt von einem schnellen Rückzug. Der Hai taucht ab und wartet, was passiert. Wer je die Hauer eines ausgewachsenen Walrosses gesehen hat, ahnt, was sie anrichten können. Auch der Schwertzahn des Narwals ist eine fürchterliche Waffe. Haie sind keine Feiglinge, aber äußerst vorsichtig. Vorausgesetzt, die Beute schmeckt, warten sie, bis der Biss seine Wirkung getan hat, um ein weiteres Mal zuzustoßen — diesmal allerdings mit umgebundener Serviette.
    Viele Surfer, die angegriffen wurden, haben die Attacke überlebt, die meisten unverletzt. Haie legen keinen Wert auf Kochmützen und Michelin-Sterne, aber wer mag

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