Nachrichten aus einem unbekannten Universum
Geruchssinn. Erinnern Sie sich an die pendelnden Kopfbewegungen des Megalodon, wenn er winzigen Duftspuren folgte? Heutige Haie stehen ihm in nichts nach. Nur ein einziges Meerestier hat ein noch feineres Näschen. Dem Aal genügt ein Duftmolekül auf 2,9 Trillionen Wassermoleküle, um seinen Weg zu finden. Aalwanderungen gehören zu den erstaunlichsten Phänomenen im Tierreich. Nicht zuletzt ihrem phänomenalen Geruchssinn verdanken es die langen Kerle, dass sie Ozeane durchqueren und mit traumwandlerischer Sicherheit eine ganz bestimmte Flussmündung finden können.
Gekrönt wird der Sinnesapparat des Hais durch die so genannten Lorenzinischen Ampullen. Diese besonderen Poren an Kopf und Maul verdienen nähere Betrachtung. Mit ihrer Hilfe sind Haie in der Lage, selbst schwächsten elektrischen Feldern nachzuspüren. Entdeckt wurden die Ampullen von dem italienischen Mediziner Stefano Lorenzini, der sie 1678 in seinem Standardwerk über Torpedorochen (das sind ebenfalls Haie) erstmals erwähnt. Dicht unter der Haut des Hais verteilen sich winzige Bläschen, via haardünner Kanäle mit den Porenöffnungen verbunden. Kanäle und Bläschen sind angefüllt mit einer leitenden Gelatine, die noch Spannungen von 0,01 Mikrovolt ins Hirn des Hais transportiert. Jeder Organismus ist von einem elektrischen Feld umgeben und sendet Impulse aus. Ein Tier mag sich unter Korallenvorsprüngen verstecken oder im Sand eingraben, seine elektrischen Felder werden es verraten. Auch in welcher Verfassung sich ein Lebewesen befindet, scheint der Hai dank seiner Ampullen zu erkennen. Erich Ritter hat festgestellt, dass große Weiße unterschiedlich auf Menschen reagieren, je nachdem, wie schnell deren Herz schlägt. Angst ist nicht nur ein schlechter Ratgeber, sie beschleunigt zudem die Herzfrequenz, und Herzen sind elektrische Taktgeber. Möglicherweise erwacht in Haien der Jagdinstinkt, wenn sie rasende Herzschläge wahrnehmen. Um mehr darüber herauszufinden, ging Ritter so weit, sich unter Wasser in Trance zu versetzen und seine Herzfrequenz drastisch zu senken. Das schien die Neugier der Tiere zu erregen. Sie kamen auf Tuchfühlung, ohne jede Aggression. Schließlich griff Ritter nach der charakteristischen Rückenflosse eines 7-Meter-Hais und ließ sich von diesem spazieren tragen.
Die Ampullen haben jedoch noch eine weitere Funktion. Im Leben der Haie nehmen sie den Platz eines Navigationssystems ein. Denn Feldstärken messen wir nicht nur bei Organismen. Auch Meeresströmungen transportieren Elektrizität, und das Erdmagnetfeld ist nichts anderes als eine elektrische Landkarte. Zudem hat man festgestellt, dass die Ampullen extrem sensibel für Temperaturschwankungen sind, bis hin zu einem Tausendstel Grad. So finden Haie zu entlegenen Laichplätzen und lohnenden Beutegründen.
Wie lebt ein Hai? Er kann ja nicht immerzu nur fressen. Lange hat man Haien ein ausgeprägtes Sozialverhalten abgesprochen. Inzwischen wird deutlich, dass die Tiere in komplexen Strukturen und Hierarchien zu Hause sind. Größe und Erfahrung spielen im Verbund mithin die wichtigste Rolle. Große, starke Haie herrschen über kleinere. Doch weist das Ethogramm der Haie weit differenziertere Züge auf. Ethogramme nennt man Persönlichkeitsprofile, die Aufschluss darüber geben, wo das ererbte Verhaltensrepertoire einer Spezies endet und wo individuelles, selbst erlerntes Verhalten seinen Anfang nimmt, außerdem, wo die Talentgrenzen liegen, also die definitive Obergrenze der intellektuellen Entwicklungsfähigkeit.
Blut etwa gilt als Schlüsselreiz für Haie. Ein stark blutender Fisch wird sie zum Fressen animieren, so ist es ihren Genen eingegeben. Der erste Mensch allerdings, den ein Hai zu Gesicht bekommt, stellt ihn vor völlig neue Herausforderungen. Für diesen Kontakt gibt es keine eindeutige genetische Disposition. Also wird der Hai seinem Festspeicher eine neue Datei hinzufügen. Die Frage ist, bis zu welchem Grad er Reize verarbeiten kann, auf die sein Instinkt keine vorgefertigten Antworten gibt. Wie es aussieht, liegen die Talentgrenzen einiger Haie ziemlich weit oben, soll heißen, sie sind zu differenzierten Reaktionen fähig und weisen sich durch hohe geistige Verarbeitungskapazität aus. Einige Haiforscher vertreten inzwischen die Ansicht, man könne zu Haien so etwas wie freundschaftliche, also vertrauliche, koexistenzielle Kontakte aufbauen. Tatsächlich spielten Wegner und Ritter während des Surfroboter-Experiments mit einem stattlichen
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