Nachrichten aus einem unbekannten Universum
zwischen zehn und 15 Exemplare gewesen sein, sämtlich graue Riffhaie von anderthalb bis zweieinhalb Meter Körperlänge. Sie patrouillierten im freien Wasser vor der Wand und gaben sich unbeeindruckt, obschon sie unsere Ankunft registriert hatten. Als ich schon dachte, wir würden in ihrer Wahrnehmung keine Rolle spielen, schoss einer von ihnen aus dem Rudel heraus und auf uns zu. Er umkreiste einen unserer Führer und schwamm wieder davon. Nachdem das Eis gewissermaßen gebrochen war, ließen die anderen Haie ihrer Neugier freien Lauf. Nacheinander kamen sie heran, zogen ihre Kreise, beäugten uns und widmeten sich wieder anderen Beschäftigungen. Wir waren nur zu viert. Ein Vorteil. Meinen letzten Hai habe ich 1998 vor Cozumel gesehen, als er angesichts 50 tauchender Japaner Reißaus nahm. Uns hingegen wurden nun immer häufigere Besuche abgestattet. Nach anfänglicher Verunsicherung beginnt man sich auf den nächsten Kontakt zu freuen. Nie hatte ich das Gefühl, bedroht zu sein. Vielmehr wurde ich Gegenstand großer Neugierde, wie sie intelligente Wesen entwickeln, wenn jemand in ihren Lebensraum vorstößt. Die Haie gaben uns zu verstehen, dass sie uns tolerieren würden — sofern wir unsererseits ihr Revier respektierten.
Verständlicherweise fühlt man sich bedroht, wenn ein Raubtier beginnt, einen zu umkreisen. Tatsächlich tun Haie dies, weil sie ihre Augen seitlich des Kopfes tragen. Aufgrund der angeborenen Sehschwäche müssen sie dem Objekt ihrer Neugier sehr nahe kommen. Einmal drum herum geschwommen, und man weiß, wie der andere aussieht. Diese Prozedur dient weniger der Uberprüfung auf Beutetauglichkeit, sondern entspringt echtem Interesse. Gerade von Amateurtauchern werden derlei Annäherungsversuche jedoch als versuchte Attacken interpretiert. Würde das stimmen, müsste sich jeder Hund, der schnüffeln kommt, mit ähnlichen Gedanken tragen. Stattdessen geht es um ein schnelles »Wer bist du?«. Bisweilen kann es dabei passieren, dass der Hai ein bisschen mit der Nase stupst. Ein kleiner Rat: Stupsen Sie nicht zurück. Sie sind nicht auf dem Fußballplatz. Betrachten Sie es als kumpeliges Willkommen, und Sie werden einen unvergesslich schönen Tauchgang erleben.
Ansonsten gilt: Auch Haie können sich erschrecken. Port-JacksonHaie etwa sind Bodenbewohner, die sich gern in flachen Gewässern aufhalten. Es ist kaum zu vermeiden, dass man ihnen hier und da auf die Flossen tritt. Meistens machen sich die Getretenen davon, aber einige beißen — und belassen es meist beim oberflächlichen Biss, der nichts anderes besagt als: »Bis hierher und nicht weiter«. Dann gibt es Fälle, in denen Jugendliche Mutproben ablegen, indem sie Haie am Schwanz ziehen. Als Folge bekommen sie mit selbigem einen verplättet. Selbst der große, aber harmlose Ammenhai versteht da keinen Spaß. Und hat völlig Recht. Wie, meine Herren, würde es ihnen gefallen, in aller Öffentlichkeit von einem Fremden ans Gemächt gepackt zu werden?
Doch selbst wenn Haie sich extrem belästigt fühlen, beißen sie nicht gleich zu. Zuvor wird man gewarnt. Da verhält sich der Graue Riffhai nicht anders als jeder Hund. Er macht einen Buckel, senkt die Brustflossen und hebt den Kopf. Reagiert man darauf nicht, beginnt er heftig mit dem Schwanz zu schlagen oder präsentiert seine Breitseite — und dann erst schießt er los, rammt den Unvorsichtigen oder schnappt nach ihm. Meist belässt er es beim so genannten open mouth slash, einem Schlag mit dem Oberkiefer, um den Eindringling zu vertreiben. Apropos Hunde: Der beste Freund des Menschen ist Beißstatistiken zufolge weit weniger freundlich als der Weiße Hai.
So gewinnt das wahre Bild der Jäger endlich an Kontur. Dennoch bleiben sie für die meisten Menschen Killer. Ausgerechnet Pioniere der Meeresforschung wie Jacques-Yves Cousteau haben dazu beigetragen, das schlechte Image zu zementieren. Costeau hatte nämlich mächtig Angst vor Haien und begegnete den »Mördern«, wenn überhaupt, nur im Unterwasserkäfig. Dabei hatte der australische Chirurg Victor Coppleson schon 1962 eine höchst spannende Theorie entwickelt, wonach ausschließlich geistesgestörte Haie auf Menschen losgehen. Tatsächlich gibt es im Tierreich etliche Formen der Hirnerweichung, von leichten Verhaltensstörungen bis hin zum völligen Wahnsinn. Copplesons rogue shark theory zufolge sind Menschenhaie ein Fall für die Anstalt: Irre, die alles attackieren, was sie in ihrer Paranoia als bedrohlich empfinden.
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