Nachrichten aus einem unbekannten Universum
ersten seriösen Gegenentwurf verdanken wir dem Österreicher Hans Hass und dem Verhaltensforscher Irenäus Eibl- Eibesfeldt. Als Erste verließen sie den schützenden Käfig und stellten sich den Großen Weißen im freien Wasser, nur mit einem Haistock bewaffnet. Auch vermieden sie es, die Haie mit blutigen Fischabfällen anzufüttern, wie es Cousteaus Leute getan hatten, um reißerische Aufnahmen von durchgedrehten Fressmaschinen zu erhalten. Doch gerade das Anfüttern ist eine heikle Sache. Um Haie auf hoher See herbeizulocken, eignet es sich vorzüglich — natürliches Verhalten geht dabei verloren. Stellen Sie sich vor, man wolle Ihr Verhalten untersuchen, indem man Ihnen auf offener Straße Leckereien zuwirft.
Unbestritten ist, dass Haie in einen so genannten Fressrausch geraten, doch der Appetit kommt beim Essen. In vielen Tauchpara- diesen werden Haie im Beisein von Touristen gefüttert. Ein Nervenkitzel, zugegeben. Auch am Lions Head war das in den Achtzigern gang und gäbe. Viele Tauchführer gingen dabei umsichtig vor, andere versuchten mit zweifelhaften Kunststückchen zu gefallen, indem sie Fischkadaver zwischen die Zähne klemmten und den Hai ermutigten, davon abzubeißen. Schnipp schnapp, war die Nase weg. Dem Hai kann man keinen Vorwurf machen. Er wurde zum Essen eingeladen. Schlimm ist, dass die Tiere lernen, Zusammenhänge zwischen Mensch und Futter herzustellen. Von indischen Tigern heißt es, sie seien für Menschen nicht gefährlich, es sei denn, sie hätten bereits einen gefressen. Dann könne eine Gewöhnung eintreten. Bei Haien ist es ähnlich. Unterwasserfütterungen, die mehr aus Versehen mit dem Verlust von Extremitäten enden, können Haie auf dumme Gedanken bringen. Hans Hass beschreibt in seinem Buch Wie Haie wirklich sind, dass man die Tiere vor der Salomoneninsel Bellona nicht fürchtete. Sie griffen keine Menschen an. Vor der Insel Guadalcanal hingegen, nur wenige Meilen weiter, waren Schwimmer hochgradig gefährdet. Rückblickend stellte sich heraus, dass dort im Zweiten Weltkrieg eine Seeschlacht getobt hatte, in deren Verlauf zahlreiche tote und blutende Soldaten im Meer trieben. Fortan stellten die dortigen Haie ihre Essgewohnheiten um.
Ohne blutige Lockmanöver lässt sich wesentlich mehr über das natürliche Verhalten der Haie erfahren, und meist ist man überrascht. Große Weiße haben sich, man glaubt es kaum, als verspielt erwiesen. Richtig gut kommt man mit ihnen aus. Erst wenn so ein Hai nach kurzem Plausch den Vorschlag macht, Sie zum Essen einzuladen, sollten Sie vorsichtig nachfragen, wie er das meint.
Indes spricht vieles dafür, dass Haie Menschenfleisch nicht mögen. Andererseits wissen wir, was der Teufel in der Not so frisst. Man kann beim besten Willen nicht behaupten, dass Haie übermäßig gut schmecken, sie speichern Ammoniak und sondern wenig appetitliche Gerüche ab, dennoch essen wir sie. Die Isländer etwa greifen auf uralte Rezepturen zurück, um Grönlandhai oder Eishai halbwegs genießbar zu machen. Einige Wochen lässt man ihn an der bloßen Luft verfaulen, dann wird er in Kisten gepackt oder in der Erde vergraben, um ihn hernach weitere Zeit im Freien zu trocknen. Häkarl, wie er in den besten Restaurants Reykjaviks als Spezialität serviert wird, ist das Resultat kontrollierter Fermentierung, ähnlich wie der norwegische Raskfisk. Böse Zungen behaupten, die Isländer würden Häkarl nur essen, um einen Grund zu finden, große Mengen Brennivin-Schnaps hinterherzukippen. Ich glaube das nicht. Häkarl ist mir zwar bis heute versagt geblieben, Raskfisk habe ich hingegen schon gegessen. Einige meiner besten Freunde sind Norweger, und von denen weiß ich mit Bestimmtheit, dass sie kein Alibi brauchen, um eine Flasche Aquavit niederzumachen. Auch ohne Verdünnung würden sie den edelfaulen Fisch prächtig vertragen. Einem braven Rheinländer hingegen stößt Raskfisk in einer Weise auf, als wolle der zurück ins Meer — also führt am Flaschenhals kein Weg vorbei.
Fest steht, Menschen essen Haie weit häufiger als umgekehrt. Um nicht der Verharmlosung bezichtigt zu werden, will ich jedoch einräumen, dass auch unter Haien Isländer und Norweger anzutreffen sind, also Exemplare, die Menschen appetitlich finden. Ich verspreche feierlich, sie sind in der Minderheit. Vielleicht, weil sie keinen Schnaps zum Nachspülen haben. Definitiv aber, weil ihr Geschmackssinn ihnen blitzschnell sagt, was genießbar ist und was nicht. Ähnlich hoch entwickelt ist ihr
Weitere Kostenlose Bücher