Nachrichten aus einem unbekannten Universum
überhaupt, denn ihm verdankt sich die Produktion wichtiger Grundbausteine des Lebens. Stickstoff und Essigsäure wiederum ergeben Aminosäuren. Spätestens hier horcht jeder, der in Biologie nicht geschlafen hat, auf. Aminosäuren? Das kennt man doch. Richtig, Lebensbausteine beginnen Gestalt anzunehmen. Aminosäuren verketten sich, nennen sich nun Peptide, die ihrerseits zu langkettigen Proteinen verwachsen.
Ah, Proteine! Ist das jetzt schon Leben? Schwer zu sagen. Definitiv sind es organische Verbindungen. Da finden sich jede Menge Kohlenhydrate, da ist eigentlich alles vorhanden. Aber noch erblicken wir einen Baukasten und nicht das Resultat, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Miss Evolution hat noch einiges zu tun.
Und fleißig ist sie! Unter ihrem Management schwingen sich die biologischen Fabriken in den Bläschen zu höchster Produktivität auf. Schier unüberschaubar wird die Vielfalt neuer Substanzen. Unter anderem formen sich vier Kohlenstoff-Stickstoff-Verbindungen in Ringform, Nukleinsäurebasen, die auf die Namen Adenin, Guanin, Cytosin und Uracil hören und es mal weit bringen werden.
Dazu brauchen sie noch ein paar neue Freunde: Ribose, ein Zucker gesellt sich hinzu, nebst Phosphorsäure. Sie alle verbinden sich zu einem einzigen sehr langen und sehr bekannten Molekül, zu Ribonukleinsäure — kurz RNS.
Diese neue Säure erhöht nicht nur die Reaktionsfreudigkeit der Aminosäuren untereinander, sie ist zudem in der Lage, sich selber zu reproduzieren. Dazu benötigt sie die Hilfe spezieller Proteine, der Enzyme, die sie in Eigenarbeit herstellen kann. Als Folge entsteht neue RNS, die ihrerseits Proteine bildet. Der Zyklus gerät in Schwung. Unterdessen haben Adenin, Guanin, Cytosin und Uracil sprechen gelernt. Lautlos ist diese Sprache, mehr ein Code: Immer drei Basen ergeben im Zusammenschluss einen Buchstaben, der eine Aminosäure einem Protein zuordnet, wodurch die Aminosäuren eine definierte Reihenfolge erhalten. In anderer Konstellation bilden die Basen einen anderen Buchstaben, und wieder gruppieren sich die Aminosäuren in entsprechender Folge.
Als Resultat ständiger Mutation nimmt die Leistungsfähigkeit der Proteine zu. Miss Evolution ist in ihrem Element. Alles, was sie nun unternimmt, folgt einem unbarmherzigen Ausleseprinzip: Proteine etwa müssen sich in besonderer Weise um die Vervielfältigung von RNS verdient machen, sonst werden sie aus dem Programm genommen. Wer sich am besten anpasst, hat Chancen, weiter im Rennen zu bleiben, der Rest verschwindet im Müllschlucker der Geschichte. Im freien, aufgewühlten Urozean war alles noch eine große, chaotische Party, selbst im gemütlichen Eisensulfidbläschen trieb es anfangs jeder mit jedem, doch nun kehrt Ordnung ein. Schluss mit dem Lotterleben! Wir wollen doch mal Fische, Vögel und Menschen werden. Etwas Disziplin, bitte.
Eines Tages hat Uracil frei. Vielleicht hat Uracil auch verschlafen oder schwänzt. Jedenfalls nimmt die ähnlich konstruierte Base Thymin Uracils Platz ein. Gleichzeitig hat der Zucker Ribose den Verlust eines Sauerstoffatoms zu beklagen. Kleinigkeiten, sollte man annehmen. Doch das Resultat ist ein neues, ungemein stabiles Molekül mit einem schrecklich langen Namen, den keiner aussprechen mag, weswegen heute allgemein die Kurzform verwendet wird:
DNS. Desoxyribonukleinsäure.
Die DNS stellt wahrlich eine Revolution dar, allerdings muss sie dafür ein paar Eigenschaften aufgeben. Als Speicher des genetischen Codes ist sie unschlagbar, dafür kommt ihr die Funktion der Katalyse abhanden; sie kann ihren Code also nicht von alleine in Proteine umsetzen. Dazu braucht sie die RNS, die sich zu einem Übersetzungshelfer für die große Schwester entwickelt und die DNS künftig auf ihrem Weg ins immer komplexer werdende Leben begleitet.
Ach richtig, Leben! Ist das denn nun endlich Leben?
Augenscheinlich ja. Irgendwann im Verlauf dieser Schilderung ist es entstanden. Zwischen den Zeilen, zwischen den Buchstaben. Sogar die Geburt einer Zelle können wir verkünden, noch ohne Zellmantel allerdings. Aber die Inhalte sind vollständig versammelt, selbst einen ersten Stoffwechsel gibt es zu vermelden. Immer noch befinden wir uns am Fuß der Schwarzen Raucher, jener riesigen Heißwasserspeier, mit denen alles begann. Immer noch schießt die kochende Chemikalien-Mixtur daraus hervor und versorgt die Wesen in den Bläschen mit Energie. Nahrhafte Substanzen passieren die Eisensulfidhülle durch Poren, werden in
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