Nachrichten aus einem unbekannten Universum
Besuch von Restauranttoiletten kein bisschen besser aussehen lässt, während Frauen dort wundersamen Wandlungen unterworfen sind und quasi runderneuert zurückkehren? Die Antwort liefert ein Cumulum, wie man es nur in Handtaschen findet.
Unsereiner beult sich die Hosentaschen aus mit Autoschlüssel, Geld und Zigaretten, während Frauen kurvenreich geschnittene Kleider tragen können, ohne im entscheidenden Moment Mangel zu leiden. Termine werden in flugs hervorgezauberte Terminkalender eingetragen, geräumige Geldbörsen bieten Unterschlupf für Plastikkärtchen, Kleingeld, Spickzettel und Familienfotos. Kamm, Haarspray, Parfüm, Eyeliner, Nagellack und Lippenstift dienen der kosmetischen Bewaffnung im Ringen um potente Männchen, Kampfgas, um sie in Schach zu halten. Kontaktlinsen und Lesebrillen teilen sich das Seitenfach mit einem guten Buch. Ohrringe und Schlüsselbunde leben in Koexistenz mit Slipeinlagen und einer zweiten Nylonstrumpfhose, einigen Blistern Aspirin und der berühmten Pille. Nicht zu vergessen das Handy, dem Männer einen oft leicht hängenden Sitz ihrer Jacke verdanken. Ganz anders bei Frauen. In aller Makellosigkeit sind sie uns überlegen, wenn es brennt, Flutwellen über uns hereinbrechen oder ungeplante Übernachtungen in fremden Lebensräumen anstehen. Denn ihrer ist die Handtasche, aus der Mary Poppins gar einen kompletten Kleiderständer zog, damit die guten Sachen nicht im Schrank verknittern.
Denken wir uns die Handtasche weg, wird die Frau sofort um einige Entwicklungsstufen zurückgeworfen und landet dort, wo Männer augenblicklich sind. Ohne Handtasche würden sich die Bestandteile ihres Codes im unbehausten Nichts verlieren. Ebenso wie der Mann müsste frau sich die Utensilien des täglichen Bedarfs hierhin und dorthin stecken, schlimm sähe das aus, und das meiste bliebe zu Hause. Ständig würde sie irgendetwas suchen. Das weibliche Wunder wäre Geschichte, die Not groß. Das ganze Drama wird offenkundig, wenn so eine Handtasche platzt: Ihre Besitzerin ist im selben Moment nicht mehr, wer sie eben noch war, ihre innere Ordnung verteilt sich auf dem Trottoir, verschwindet in Gullys oder wird von Autos platt gefahren. Der Abend ist gelaufen. »Wer bin ich?«, steht der Dame ins Gesicht geschrieben. Bin ich noch Mensch? Bin ich noch Leben? Nein, ich bin eine Frau ohne Handtasche, weniger als eine Protozelle. Mein hydrothermaler Kamin ist eingestürzt, hinaus reißt es mich in die Nichtexistenz, ins Hadaikum!
Miss Evolution erkannte, dass die vielen organischen Verbindungen und Supermoleküle im Innern der Eisensulfidhülle etwas brauchten, das sie zusammenhielt, auch wenn sie ihre Heimat, den vulkanischen Schlot, verlassen mussten. Darum veranlasste sie einige Protozellen zur Produktion einer Art Fett, das sich wie ein elastischer Mantel um das Zellinnere lagern ließ. Eine Doppelmembran entstand, fähig, bestimmten Molekülen Durchschlupf zu gewähren, Wasser jedoch abzuweisen. Eine winzige Hülle, die sich aus der Gefangenschaft des Kamins lösen und im offenen Wasser treiben konnte, dabei aber immer alles hübsch beieinander hatte, was zur Erhaltung einer lebensfähigen Zelle vonnöten war. Die Erfindung des Zellmantels ermöglichte es dem Leben, sich ungehindert auszubreiten, ohne im tobenden Kampf der Elemente zerrissen zu werden. Damit war der Grundbaustein aller komplexen Wesen erfunden. Ein kleines Säckchen voll genetischer Information, ein praktischer Beutel. Die Handtasche der Evolution. Die fertige Zelle.
Mehrfach hat sich dieser Membransack entwickelt, mit unterschiedlichen Resultaten. Zellen entstanden, die wir Eubakterien oder Echte Bakterien nennen. Sie hielten eine Menge aus, doch eine andere Variante erwies sich als widerstandsfähiger: die so genannten Archaebakterien, umhüllt von festen Membranen, die aufgrund ihrer Bauart Resistenzen gegen extreme Temperaturen und erhöhte Säurekonzentrationen entwickelten. Genau genommen sind Archaebakterien gar keine Bakterien, sie haben einen anderen Stoffwechsel als Eubakterien, weshalb sie wissenschaftlich korrekt als Archaeen bezeichnet werden. In unserer modernen Welt darf man sie übrigens mit ä schreiben, was ich ab jetzt tue.
Eubakterien und Archäen bildeten zusammen die Familie der Prokaryonten. Karyon ist das griechische Wort für Kern, ein Prokaryont ist also eine Zelle vor der Erfindung des Zellkerns. Den gab es nämlich noch nicht. In der Handtasche rutschte immer noch alles wild hin und her, aber egal.
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