Nachrichten aus einem unbekannten Universum
Entwicklungslinie, sondern stets mehrere geografische Varianten. Warum hätte das bei der Evolution des Menschen anders sein sollen?«
Derzeit stellt es sich folgendermaßen dar: Vor sechs bis acht Millionen Jahren kippte in Afrika das Klima, was zu einem Niedergang der tropischen Regenwälder führte. Große Ebenen versteppten. Bis dahin waren die Affen hangelnd von Baum zu Baum gelangt. Manche hatten bereits die Fähigkeit entwickelt, aufrecht Äste entlangzulaufen, die waren nun fein raus. Als das Hangeln mangels Vegetation ein Ende hatte, half ihnen ihr spezielles Talent zu überleben: Am Boden erkennt man herannahende Raubtiere umso früher, je weiter man blicken kann. Also ging man fortan auf den Hinterbeinen und hatte beide Hände frei für andere Tätigkeiten, zum Beispiel für den Gebrauch von Werkzeugen.
Ist hier der Mensch zum Mensch geworden? Gab Gott uns den Faustkeil? Sorry, auch Schimpansen bohren mit Stöckchen nach leckeren Würmern. Der Gebrauch von Hilfsmitteln kam nicht über Nacht, sondern entwickelte sich sukzessive und regte die Hirntätigkeit an. Die aufrecht gehenden Affen wurden zwangsläufig klüger. Im Verlauf der nächsten Jahrmillionen liefen immer neue Varianten von Vormenschen durch Afrika, schlugen einander den Schädel ein oder paarten sich und entwickelten so etwas wie Kultur. Diverse Arten reichten ihren Abschied ein, andere passten sich den wechselnden Umweltbedingungen an, gewannen an Kreativität und Menschenähnlichkeit. Verschiedentlich wurde der aufrechte Gang neu erfunden, der Faustkeil, das Rad. Die moderne Anthropologie sieht sich ungeahnter Vielfalt gegenüber, nur vom Bild des klassischen Stammbaums hat sie sich verabschieden müssen. Allenfalls lässt sich von einem wirr verzweigten Busch sprechen, in dem die Grenzen zwischen Tier und Mensch endgültig verwischen.
Und wer kriegt nun die unsterbliche Seele?
Ebenso unmöglich wie zwischen Tier und Mensch lässt sich die Grenze zwischen belebt und unbelebt ziehen. Hat auch die Zelle eine Seele? Warum nicht, so eine kleine einzellige Seele müsste sich in Gottes Plan doch finden lassen. Aber auch die Zelle ist nicht vom Himmel gefallen, sie blickt vielmehr auf einen langen, abenteuerlichen Werdegang zurück, in dessen Verlauf sie diverse Stadien durchlief. Wollte man konsequent an der Seele als astrale Zutat festhalten, müsste auch jedes einzelne Molekül eine Seele besitzen und bei anständigem Betragen in den Teilchenhimmel kommen, und spätestens hier spielen die meisten Religionen nicht mehr mit.
Was also ist Leben überhaupt? Nicht nur Evolutionsbiologen würden die Korken knallen lassen, fänden sie darauf eine verlässliche Antwort. Ich schätze, es gibt kaum eine spannendere Frage. Sie stellt uns vor ähnliche Probleme wie die Phänomene der Unendlichkeit, des Kleinsten und des Größten, Anfang und Ende. Lässt man die Skalen beiseite, mit deren Hilfe wir gewohnt sind, Raum und Zeit zu unterteilen, offenbart sich uns ein Universum, in dem es keine abrupten Zustandswechsel gibt, das keine Kausalitätsketten erkennen lässt, sondern nur einen schier unentwirrbaren Kausalitätenfilz — ein Kosmos, in dem alles fließt. Für die Bewertung dessen, was lebt und lebenswert ist, hat diese Erkenntnis essenzielle Bedeutung, weil sie geeignet ist, die Cartesianer endgültig auf die Plätze zu verweisen — jene Anhänger des großen Rationalisten Rene Descartes, in deren Augen Tiere lediglich Automaten sind. Descartes hatte eine klare Grenze zwischen Mensch und Tier gezogen, indem er nichtmenschlichen Kreaturen jegliches Denken und Fühlen absprach. Ein Ansatz, der von Philosophen wie G. W. F. Hegel allzu bereitwillig aufgegriffen wurde — Hegel zufolge ist das Tier gemeinhin ein Verwertungsartikel. Über die Jahre pervertierte der cartesianische Ansatz zu blankem anthropozentrischem Zynismus. Was der Franzose aus innerer Überzeugung geäußert hatte, diente seinen Epigonen als Argument, bei Tierversuchen und Massenhaltung jede moralische Position ins Abseits zu stellen. Was zeigt, dass uns der rein naturwissenschaftliche Ansatz bei der Herausbildung ethischer Modelle nur bedingt weiterhilft. Weder Wissenschaftler noch Theologen finden darin eine Gebrauchsanweisung für ethisches Handeln. Zumal sich das, was wir als moralisch vertretbar empfinden, auch nur einer Skala verdankt, nämlich der Ethik-Skala, die dummerweise jeder anders anlegt.
Immerhin können wir sagen, seit wann das Leben auf der Erde nachzuweisen
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