Nachrichten aus einem unbekannten Universum
ist. Fossilien erster lebender Strukturen datieren aus der Zeit vor dreieinhalb bis vier Milliarden Jahren. Das wissen wir aus Funden von Einzellern, den frühesten Lebewesen, die sich als Abdruck im Gestein erhalten haben. Allerdings erlauben diese Funde keinerlei Aussage darüber, wann genau die eigentliche Entwicklung des Lebens begonnen hat. Ein solcher Beginn ist nur mittels einer Skala zu ersehen, die nachträglich Zäsuren einfügt, wo es in Wahrheit keine gab. Außerdem dürfte sich das frühe Leben mehrfach unabhängig voneinander entwickelt haben, möglicherweise viele Millionen Male. Prozesse vor der Erfindung des Zellmantels sind praktisch nicht zu dokumentieren. Wir tappen also im Dunkeln, und da sind wir richtig, denn die Tiefsee ist schwarz. Dort, wo die Umstände den Zusammenschluss komplexer Moleküle relativ früh zuließen, vollzieht sich eines der wahrscheinlichsten Szenarien, wie belebte Materie in die Welt gelangte.
Leben ist das Resultat von Allianzen. Chemische Verbindungen kommen aber nicht zustande, wenn die zarten molekularen Strukturen immer wieder auseinander gerissen werden. Und vor vier Milliarden Jahren war die Erde kein Platz, um es sich gemütlich zu machen. Hatten sich im weltumspannenden, durchschnittlich zehn Kilometer tiefen Ozean zwei Elemente, sagen wir Kohlenstoff und Wasserstoff, ineinander verguckt, donnerte der nächste Asteroid heran und machte dem jungen Glück ein jähes Ende. Romeo und Julia wurden davongewirbelt, jeder in eine andere Richtung. Der ganze Planet war ein Kochtopf, in den ständig Neues geworfen wurde, Ströme von Lava brachten das Wasser zum Brodeln, gewaltige Blitze zerrissen die Atmosphäre, Liebesgeschichten hatten keine Konjunktur.
Ganz tief unten war es auch nicht gerade komfortabel, wo sich die ozeanischen Platten unter dem Druck aufquellender Lava auseinander schoben. Wenn diese zu porösen, kissenförmigen Strukturen abkühlte, sickerte Wasser ins Erdinnere, traf auf glühendes Magma, kochte auf, schoss wieder empor und trat als brodelnder, bis zu 400 Grad heißer Geysir aus dem frisch gebildeten Meeresboden. Jede Menge Gase und Mineralien brachte es aus dem Glutkeller mit, Wasserstoff, Schwefelwasserstoff, Ammoniak und anderes. Im freien Wasser reagierten diese Stoffe mit gelösten Metallen wie Eisen, Kupfer, Zink und Nickel und bildeten Schwefel-Metall-Ketten. Dadurch geschah zweierlei: Zum einen färbte sich das herausschießende Wasser schwarz. Meeresgeologen haben solche Quellen mehrfach besucht und unter Zuhilfenahme starker Scheinwerfer gefilmt, und tatsächlich sieht man eine turbulente, rußigschwarze Brühe emporsprudeln. Zum anderen sanken die schweren Verbindungen nach einem kurzen Höhenflug wieder zu Boden, lagerten sich ab und bildeten rund um die Austrittsstelle Kamine, die mit der Zeit mehr als 50 Meter hoch wurden. Man kennt solche Quellen als hydrothermale Schlote oder Schwarze Raucher.
Auch künftig wird ein komplettes Rauchverbot in der Tiefsee nicht durchzusetzen sein. Immer aufs Neue vollzieht sich der Kreislauf des absinkenden und aufsteigenden Wassers. Heute tummeln sich komplexe Biotope an den Kaminen, aber im Hadaikum gab es dort nichts, was krabbelte, wabbelte oder schwamm.
Noch nicht. Denn am äußeren Rand der Schlote lagerte sich Eisensulfid in mikroskopisch kleinen Bläschen ab.
Und die hatten es in sich!
Das umgebende Wasser mag damals 20 bis 30 Grad warm gewesen sein. Im Innern der Bläschen, auf engstem Raum, siedete es um die 100 Grad Celsius, gedrängt voll mit chemischen Substanzen, die der Ausbruch des heißen Wassers hierher verschlagen hatte. Wie das so ist in überfüllten Räumen, kommt man ins Gespräch, man mag sich, der kleine Bungalow verhindert, dass einen das Meer im schönsten Techtelmechtel wieder auseinander reißt, man bändelt an. Chemische Ehen kommen zustande, und diesmal halten sie. Das Innere der Bläschen ist energetisch aufgeladen, was den Zusammenschluss der Moleküle konspirativ unterstützt. Wasserstoff und Kohlenstoff, die unglücklich Liebenden, dürfen endlich miteinander verschmelzen. Schließlich kommen die ersten auf Kohlenstoff fußenden Verbindungen zustande, ohne die kein Erdenwesen denkbar wäre.
Miss Evolution, unsere fleißige Mitarbeiterin, geht ans Werk. Aus Schwefel, Sauerstoff, Wasserstoff und Kohlenstoff erschafft sie aktivierte Essigsäure, die ihrerseits den Zitronensäurezyklus in Gang setzt. Dieser Zyklus ist der vielleicht bedeutendste Stoffwechselzyklus
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