Nachrichten aus einem unbekannten Universum
Entscheidend war, dass Eubakterien und Archäen sich nunmehr ungehindert ausbreiten und ihren Siegeszug durch die Meere antreten konnten. Die weniger empfindlichen Archäen fielen praktisch überall ein und vermehrten sich explosionsartig, besiedelten kochende Quellen, vulkanische Gestade und extrem salzhaltige Flachmeere. Die Eubakterien zeigten sich wählerischer, doch auch sie erreichten hohe Populationsdichten. Und so wimmelte es binnen kurzem von Prokaryonten, sodass sich durchaus von der ersten Bevölkerungsexplosion sprechen lässt.
Die hier geschilderte Theorie, entwickelt von Michael Rüssel vom Environmental Research Centre Glasgow und William Martin von der Universität Düsseldorf, ist mit das Plausibelste, was bisher zum Thema Lebensentstehung geäußert wurde. Und das war nicht eben wenig. In den letzten Jahrzehnten hat die Wissenschaft immer neue
Modelle vorgestellt, wie sich die Entwicklung zur Zelle vollzogen haben könnte. Doch keine liefert eine so genaue, in sich stimmige Beschreibung.
Populär ist die Panspermie-Theorie. Sie dürfte die Lieblingstheorie Erich von Dänikens sein, weil das Leben ihr zufolge aus dem Weltraum stammt, wo resistente Bakteriensporen durch die Unendlichkeit getragen wurden. Geschützt im Eis von Meteoriten seien sie damals auf die Erde gekommen. Es wird den Freund aller Außerirdischen freuen, dass solche Sporen wissenschaftlich beschrieben sind. Vielleicht stimmt die Panspermie-Theorie sogar, aber leider erklärt sie nicht, wie die Bakterien ihrerseits entstanden. Möglicherweise gab und gibt es Schwarze Raucher auch auf anderen Planeten.
Fest steht, dass die Erde in den ersten 500 Millionen Jahren ihrer Existenz unablässig bombardiert worden war — auch von Kometen, deren Schweif aus mikroskopisch kleinen Staubpartikeln bestand, reich an organischen Substanzen, Kohlenstoff- und Wasserstoffverbindungen, stickstoffhaltigen Basen, Aminosäuren, Sauerstoff, Formaldehyd und Blausäure. Als der Geschosshagel nachließ, waren einige der Kometen vorbeigezogen, statt ins Meer zu stürzen, und hatten den Planeten nur mit ihrem Schweif gestreift. Milliarden Millionen Tonnen chemischer Stoffe wurden auf diese Weise im Meerwasser gelöst. Es war also viel Nützliches aus dem Weltall auf die Erde gelangt, ob allerdings komplexe organische Verbindungen darunter waren, scheint zweifelhaft.
Einen Begriff hört man in diesem Kontext immer wieder: Ursup- pe. Dahinter verbirgt sich ein Experiment des Chemikers Stanley Miller aus dem Jahr 1953. Der stellte sich die Sache so vor: Meerwasser war verdunstet und als Regen zurück auf die Erde gefallen, der schon bekannte Zyklus. Wann immer die Wassermoleküle flüchtig wurden, stieg reiner Wasserdampf auf und ließ die gelösten Elemente im Meer zurück. Dieser Zyklus wiederholte, wiederholte, wiederholte sich. Hunderte Millionen Jahre lang. Stürme wälzten die Oberfläche um und um und schufen eine riesige Kontaktfläche zu den Gasen der Uratmosphäre, also zu Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff. So nahm der Reichtum an gelösten Substanzen im Wasser zu, und spontan bildeten sich organische Moleküle. Wasser erwies sich als universales Lösungsmittel. Abertausende unterschiedlicher Verbindungen entstanden, gespeist von der Wärme aus dem Planeteninneren, von den elektrischen Entladungen der Gewitter über der Meeresoberfläche, von den ultravioletten Strahlen der Sonne. Unaufhörlich nahm ihre Menge und Vielfalt zu und verwandelte die Ursuppe in ein Spielzimmer der Evolution.
Miller war überzeugt, dass den urzeitlichen Gewittern eine Schlüsselrolle zukam. Um seine Theorie zu untermauern, ließ er ein Gemisch aus siedendem Wasser, Methan, Ammoniak und Wasserstoff in einen Kolben steigen, wo Elektroden künstliche Blitze erzeugten. Nicht von ungefähr erinnerte das Gemisch an den Ausstoß hydrothermaler Quellen. Die Blitze lieferten hohe Energiedosen und veranlassten die Substanzen, miteinander zu reagieren. Dabei entstanden im Verlauf weniger Tage nachweislich Aminosäuren — Miller war in die Fußstapfen Frankensteins getreten und hatte Lebensbausteine erzeugt. Allerdings vermochte er nicht zu sagen, wie diese Bestandteile im turbulenten Ozean zu stabilen Gemeinschaften und höheren Molekülen hatten verschmelzen können. Mittlerweile geht Miller davon aus, die Zusammenschlüsse seien in ruhigen Gewässern wie Tümpeln, Pfützen und geschützten Buchten zustande gekommen, aber so recht befriedigt das auch ihn
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