Nachrichten aus einem unbekannten Universum
dem Meer kann und wird Menschen in großem Umfang helfen. So, dass jeder auf seine Weise geschützt wird: der Bioprospektor, der Pharma-Konzern, der Schwamm und der Patient sowieso. Eine heile, heilende Welt. Nur um die Gesundung der Entwicklungsländer muss man sich sorgen, wenn der Ausverkauf ihrer biologischen Ressourcen in Schwung gerät. Unter allen noch zu entdeckenden Arzneien wird für sie vielleicht die bittere Pille bleiben, als Einzige nicht angemessen beteiligt worden zu sein.
Ein marktreifes Mittel gegen Malaria wäre zumindest ein Anfang.
Kleine Wattwanderung
Eigentlich, liest man, habe Claude Debussy ja Matrose werden wollen. Stattdessen bereiste er das Meer per Orchester. Wir können dankbar sein. Kaum jemand hat die unbegreifliche Weite so kongenial in Töne gefasst. Wo Debussy schwelgte, fasste sich Ernest Hemingway hingegen kurz, ganz seiner Art entsprechend. Der alte Mann und das Meer zeigt mitleidlose Natur. Hier wird der Ozean zur letzten Prüfung eines Menschen, der allen Grund hätte, aufzugeben — und sich der Niederlage dennoch verweigert. So fasziniert war Salvador Dali von dem Roman, dass er eine Mappe mit Skizzen dazu fertigte. Auch Herman Melville sah im Meer den Austragungsort eines finsteren, allegorischen Duells, während es bei Richard Wagner gar zum Sinnbild der Hölle und der Erlösung gleichermaßen geriet.
So hatte jeder seine Sicht. Auch William Heronemus. Er sah im Meer vor allem eines: Eine Batterie.
Der zuvorkommende ältere Herr, Professor an der University of Massachusetts, war alles andere als ein Nostalgiker. Fragte man ihn jedoch nach den größten menschlichen Errungenschaften, nannte er gern die Windmühle. Heronemus und der Wind, das war eine Liebe bis ans Lebensende, gipfelnd in immer neuen Ideen und Visionen. »Jedes Konzept zur Energieerzeugung lässt sich mittels Wind in die Tat umsetzen«, pflegte der Professor, der als Vater der Windenergie fast kultische Verehrung in den USA genießt, seinen Studenten mit auf den Weg zu geben. »Alles, was man braucht, ist eben Wind — und eine ausreichend lange Lebensspanne, um auf die richtigen Ideen zu kommen.«
Schon in den Siebzigern hatte Heronemus die Vorstellung entwickelt, Windturbinen vom Land ins Meer zu verlegen, etwa an Bord riesiger Schiffe oder auf küstennah verankerten Plattformen. Den Petrolbaronen war der Mann suspekt, sie hielten ihn für subversiv. Doch dann, 1972, änderte sich alles. Das Gespenst der Ölkrise machte »Buh!«, alles schrak zusammen und hörte plötzlich sehr genau hin, wenn Heronemus sprach. Das Meer sei eine gigantische katalytische Pumpe, ließ der Professor verlauten, allein die Meeresströmungen transportierten im Jahr genügend Sonnenenergie, um einige tausend Erden gleichzeitig mit Elektrizität zu versorgen. Damit nahm er spätere Berechnungen der britischen Expertengruppe Marine Foresight Panel erstaunlich präzise vorweg, wonach schon ein Fünftausendstel aller marinen Energiereserven den globalen Bedarf abdecken würde. Das Meer selbst spielte in Heronemus’ Szenarien zunächst nur die Rolle des Standorts. Erst in Verbindung mit dem konstant blasenden Seewind werde es zur unerschöpflichen Energiequelle, verkündete er, man müsse ihn nur einfangen und gleichsam melken.
Nur ...
Eben hierin lag das Problem. Wie fängt man den Wind? Herone- mus wurde nicht müde, seine Visionen in eindrucksvollen Grafiken zu visualisieren: Gewaltige Masten sah man da — verankert an Bojen —, die sich zu Hunderten aus dem Meer erhoben und Schiffe wie Spielzeug aussehen ließen. Jeder Mast trug bis zu drei Dutzend riesiger Windturbinen. Selbst eine gewisse Ästhetik war den Giganten nicht abzusprechen, ein Punkt, auf dem Heronemus sein Leben lang beharrte: Nein, Windrotoren seien nicht hässlich, solange man keine hässlichen baue. Allerdings räumte er ein, dass es unter den gegebenen Umständen besser sei, sie im Meer zu platzieren als auf dem Land. Offshore brächten sie halt die bessere Leistung.
Tatsächlich liegt die Energiebilanz mariner Windkraft 40 Prozent über der Landvariante. Andererseits ist Wind kein zuverlässiger Geschäftspartner. Mitunter heult und stürmt er, dann wiederum nimmt er sich tagelang frei, und die Turbinenmasten geben ein trauriges Bild ab. Wer mit dem Zug von Hamburg nach Sylt fährt, Niebüll passiert und sich der Nordsee nähert, kann sie entlang der Uferlinie stehen sehen, mal in fröhlicher Rotation begriffen, mal im Nichtsnutz erstarrt. Draußen
Weitere Kostenlose Bücher