Nachrichten aus einem unbekannten Universum
ein lebender Arzneischrank. Man muss einfach nur genauer hinsehen, gern auch durch die Gläser einer Taucherbrille.
So durchforsten Bioprospektoren, wie sie sich nennen, auf der Suche nach dem Pharma-Eldorado Regenwälder, Steppen und Gewässer, Letztere mit wachsender Begeisterung. Das Gelobte Land scheint ausgemacht, und es ist gar kein Land, sondern das unbekannte Universum unterhalb des Wasserspiegels.
Warum ausgerechnet die Meere in den Pharma-Fokus geraten sind, erklärt Professor William Fenical mit großer Geduld und noch größerem Enthusiasmus. Fenical leitet das Scripps-Institut für Ozeanographie im kalifornischen La Jolla und hat allen Grund, bester Laune zu sein. Jedes Jahr überweist der Kosmetikriese Estee Lauder einen siebenstelligen Betrag auf das Konto seiner Einrichtung und nutzt dafür den von Fenical entdeckten Wirkstoff Pseudopterosin C, einen Extrakt aus einer Weichkoralle. Die damit veredelte Hautcreme lindert nicht nur Sonnenbrand und Schuppenflechte. Pseudopterosin C könnte auch eine echte Alternative zum ungeliebten Cortison darstellen.
»Das Leben im Meer hat vollkommen andere Strategien entwickeln müssen als landlebende Organismen«, sagt Fenical, der als Bioprospektor einen legendären Ruf genießt. »In den Ozeanen dominieren Symbiosen, vor allem solche mit Mikroben. Viel mehr chemische Substanzen werden dort produziert als auf dem Land, einfach, weil sich das unter Wasser anbietet. Wasser ist ein rascher Verteiler.«
Stimmt. Das Abkommen zur Ächtung chemischer Waffen hat hier jedenfalls niemand unterzeichnet. Vor allem sesshafte Tiere, Schwämme etwa, sind lebende Giftfabriken. Chemie ist ihre einzige Verteidigung, denn weglaufen können sie nicht. Zähne und Klauen fehlen ihnen ebenso wie harte Panzer und Stacheln zum Schutz gegen Schnecken, Krebse und die hornigen Kiefer bestimmter Fische. Auch eine stützende Skelettstruktur sucht man vergebens. Bleibt, Fressfeinden den Appetit zu verderben, bevor sie zubeißen können. Weil der Schwamm selbst keine giftige Natur hat, bietet er Millionen von Bakterien ein gemütliches Zuhause, die ihm dafür chemische Keulen liefern. Die setzt der Schwamm erfolgreich ein, um sich zu schützen und Beute zu ergattern. Als Filtrierer lebt man von dem, was einem zu nahe kommt. Weil Plankton in der Strömung treibt, und das oft ziemlich schnell, bleibt dem Schwamm nur ein Versuch, sonst ist das Frühstück vorbeigeschwommen. Also lähmt er es mit Gift, kaum dass es zur Berührung kommt. Gleiches tun sessile Polypen, Gorgonen, Seescheiden, Moostierchen und Seeanemonen, kurz alles, was festgewachsen ist.
Plinius dem Älteren fiel 79 n. Chr. leider der Vesuv auf den Kopf, sodass nicht überliefert ist, ob die Seepferdchenmatsche sein Haar wieder hat sprießen lassen. Wir wissen aber, dass er außerdem auf Tethya aurantia, die Meerorange, schwor, um Schmerzen zu lindern. Auch Tethya ist ein Schwamm, ebenso Discodermia dissolute aus der karibischen Tiefsee, dem das Schweizer Pharmaunternehmen Novartis ein mögliches Krebsmittel abgerungen hat, Discodermolid. Fast durchweg bergen Schwämme wertvolle medizinische Inhaltsstoffe, die antiviral und antibakteriell wirken und in Testversuchen erfolgreich zur Bekämpfung von Tumoren eingesetzt wurden. Spanische Wissenschaftler katalogisieren derzeit über 40 neu entdeckte Schwämme und Algen, aus denen sich entzündungshemmende Stoffe gewinnen lassen. Allein aus Schwämmen hat man bis heute über 2.000 Wirksubstanzen extrahieren können.
Der medizinisch vielleicht interessanteste Wirkstoff ist leider auch der ökonomisch uninteressanteste: Cymbastela Hooperi, ein Schwamm der australischen Tropen, liefert ein beachtliches Medikament gegen Malaria, die am weitesten verbreitete Infektionskrankheit der Welt. Soll heißen, er könnte es liefern, doch so recht mag sich niemand für die Produktion erwärmen. Denn Malaria gilt als Krankheit der armen Leute. Ein ungeliebter Massenmarkt, wirtschaftlich längst nicht so ergiebig wie Allergien, Schuppenflechte oder Krebs. Man müsse, so argumentiert die Pharmaindustrie, schließlich auch an die Entwicklungskosten denken. Überhaupt wird nur jeder zehnte klinisch getestete Wirkstoff zum Patent zugelassen. Marine Arzneien könnten nur unter großen Schwierigkeiten gefördert werden, durchliefen jahrelange, kostspielige Testreihen und verschwänden womöglich sang- und klanglos wieder in den Tiefen der Meere.
Da hat Miss Evolution in der Tat geschlampt. Dabei wäre in
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