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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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tropischen Schwämmen Platz genug gewesen für einen hübsch ausführlichen Beipackzettel. Jeder Organismus im Meer sollte so was mit sich führen. Natürlich auch die Haie. Vielleicht zwischen die Kiemen gesteckt, damit man nach dem Fang gleich sieht: Ah, ölhaltige Leber! Kollagene für Sportlersalben und potenzfördernde Präparate. Körpereigene Substanz MSI-1436 zur Reduzierung von Körpergewicht, weil appetitzügelnd. Muss ein Dornhai sein. — He, den nicht wieder reinschmeißen!
    Doch Haie schwimmen ohne Gebrauchsanweisung durch die Ozeane. Auch die Kegelschnecke Conus Magnus lässt den Gehäuseaufdruck vermissen, aus dem hervorgeht, dass zwei ihrer 80 Gifte Schmerzmittel abgeben, die bis zu 1.000 Mal stärker wirken als Morphium. 500 weitere Arten umfasst die Familie der schleimigen Giftschleudern, jede birgt perfide kleine Geheimrezepte, keine führt Unterlagen darüber mit sich. Auch Algen zeigen sich wenig kooperativ. Sie sind zwar winzig, aber warum kein Beipackzettel auf Mikrofilm? Dann wüsste man spätestens beim Blick durchs Mikroskop, dass Rotalgen Blutfette senken, Grünalgen Polysaccharide gegen Magengeschwüre produzieren, Braunalgen die Gerinnung von Blut verhindern und alle zusammen Rheuma und Infektionen bekämpfen. »Bitte mich zu pulverisieren«, würde im Algenbeipackzettel geschrieben stehen. »Eigne mich als Zusatz in Masken, Packungen und Bädern.«
    Doch nein, alles muss man selbst rausfinden. So bleibt nur eines: testen, testen, nochmal testen.
    Und manchmal jubeln.
    Pharma Mar ist ein mittelständisches Unternehmen aus Madrid. Die Biotech-Experten gehören zum spanischen Chemieunternehmen Zeltia, das seit seiner Gründung passable Zahlen schrieb, ohne groß aufgefallen zu sein. Bis zum Jahr 2000. Da plötzlich überschlug sich die Börse, und bei Zeltia wurden ein paar Magnum-Flaschen Freixenet fällig. Töchterchen Pharma Mar hatte es allen gezeigt und das erste Krebsmedikament entwickelt, dessen Wirkstoff einzig aus dem Meer stammte. Yondelis, so der Name des Präparats, überzeugt seither in ausgedehnten Testreihen: Einmal zugelassen, könnte das Mittel im gleichen Maße Gewinne streuen, wie es die Ausbreitung von Tumoren eindämmt, insbesondere in Brust, Lunge und Prostata. Immer neue Länder werden ins europaweite Vertriebsnetz aufgenommen, der amerikanische Pharmamulti Johnson & Johnson hat sich die Lizenz für Übersee gesichert. Und wenn Amerika einsteigt, ist das, als bekomme man einen Blankoscheck in die Hand gedrückt.
    »Die vorläufigen Ergebnisse der Phase-II-Yondelis-Studien bestätigen, dass unser Hauptpräparat klinisch wirksam ist«, verkündete entsprechend zufrieden Dr. Miguel Angel Izquierdo, Clinical Development Director von Pharma Mar, 2004 auf dem Jahreskongress der American Society for Clinical Oncology. Lieferant des Yondelin-Wirkstoffes ET 743 ist eine Seescheide aus der Familie der Manteltiere, einer dieser fest verankerten, augenlosen Schläuche ohne Herz und Hirn, auf den nun alles schaut. Das schlabberige Tierchen könnte einen Blockbuster liefern, der Millionen Krebspatienten neue Hoffnung macht. Leicht getrübt wird das Bild derzeit durch den damit verbundenen Aufwand. Um ein Gramm ET 743 zu erhalten, muss man eine Tonne Seescheiden von den Riffen und Tiefseeböden pflücken. Auch andere marine Arzneilieferanten gelten als eher knauserig. 38 Tonnen des Moostierchens Bugula neritina braucht man für 18 Gramm des biologischen Krebsmittels Bryosta- tin A. Wer soll die alle einsammeln? Gleich zwei Probleme kommen somit auf die Branche zu, will sie die Massenmärkte erschließen. Erstens, die Grenze des menschlich Machbaren. Zweitens die Gefahr, dass Seescheiden und Moostierchen schnell ausgerottet wären, würde man sie im Akkord ernten.
    Und dann?
    So weit kommt’s nicht, versprechen die Experten von Pharma Mar. Vorher werde man einen Weg finden, die kostbaren Extrakte im Labor nachzubauen. Bis dahin müsse man Seescheiden eben züchten. In den Gewässern um Formentera hat man schon damit begonnen. Auch manche Bakterien, ebenfalls potenzielle Wirkstoffproduzenten, gedeihen in künstlicher Umgebung prächtig, die meisten allerdings widersetzen sich gewollter Vermehrung. Einstweilen bleibt, Muscheln, Schnecken, Moostierchen, Seescheiden und Schwämme in speziellen Meerwasserfarmen anzubauen. Währenddessen kreuzen die Schiffe der Pharmazulieferer und Forschungsinstitute vor den tropischen Riffen, im Nordmeer und über den Mittelozeanischen Rücken, bergen

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