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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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immer neue Proben und lassen robotergesteuerte Analysemaschinen täglich bis zu 300.000 Substanzen screenen. Dabei werden die molekularen Baupläne der Organismen unablässig mit Chemiecocktails versetzt, um herauszufinden, wie sie reagieren, bis jemand »Heureka!« schreit.
    »Auf einen Quadratmeter Tropenriff kommen an die 1.000 Arten«, erläutert William Fenical die Herausforderung für die Bioprospektoren. »Schätzungsweise zehn Millionen Algenarten leben in den Ozeanen, nicht mal ein Zehntel davon ist erforscht. Hinzu kommen drei Millionen Bakterienstämme und eine halbe Million Tierarten. Wir haben also noch reichlich zu tun.«
    Auch die Kosmetikbranche wiegt sich im Tiefenrausch. »Schönheit aus dem Meer«, verspricht das Unternehmen THALGO. An der Cöte d’Azur werden fleißig Algen auf eine Weise pulverisiert, dass die Vitamine, Mineralstoffe, Proteine und Aminosäuren aus dem Zellkern vollständig erhalten bleiben. Immer neue Produkte zur Straffung, Entschlackung und Vitalisierung der Haut entwickelt THALGO und legt Wert auf die Feststellung, alle Inhaltsstoffe entstammten rein biologischer Erzeugung, seien also garantiert frei von Nebenwirkungen.
    Das glättet die Haut ab vierzig. Vor allem angesichts der erzielten Jahresumsätze.
    Während die Tropen als Giftschrank des Tierreichs gelten, versprechen sich die Mitarbeiter des Bremerhavener Alfred-Wegener- Instituts wertvolle Substanzen aus den eisigen Regionen des Planeten. Im Auftrag des Henkel-Konzerns ist die Crew des Forschungseisbrechers Polarstern damit befasst, polaren Organismen das Geheimrezept des ultimativen Sonnenschutzmittels abzuringen — diese werden nämlich in arktischen Sommern vom UV-Licht geradezu beschossen. Zudem erforscht man natürliche Frostschutzmittel, wie Bewohner der Antarktis sie zu bilden verstehen. Viele der hier lebenden, vorwiegend barschartigen Fische vereinen bis zu acht verschiedene Substanzen in ihren Körpern, um den Gefrierpunkt herabzusetzen. Arktische Mikroben lassen sich wiederum in der Entwicklung von functional food einsetzen; das sind Nahrungsmittel, deren natürlicher Nährstoffgehalt durch Beigabe zusätzlicher Stoffe erhöht oder modifiziert wird. Probiotische Bakterien in Yoghurtbechern gehören dazu, Fischöl in Eiern, Kalzium in Müsli, und so weiter. Alles scheint im Meer vorhanden zu sein, Medikamente, Schönheitsprodukte, Pflanzenschutzmittel, Schiffsanstriche, sogar die besseren Waschmittel.
    Bis 2010 will die Deutsche Forschungsgesellschaft zudem neue Konzepte für molekulares Modelling auf den Tisch legen. Dazu gehört sowohl, Mikroben gentechnisch zu verändern, sodass sie gewünschte Wirkstoffe absondern, als auch natürliche Substanzen im Labor zu synthetisieren, um die eigentlichen Produzenten vor dem Aussterben zu bewahren. Ziel ist es nicht, die Meeresbewohner selbst auszubeuten, sondern sie zu kopieren. Aus dem Rohstofflieferanten Meer wird so die Kreativagentur Meer. Lustige Vorstellung: Mit Pharma-Awards ausgezeichnete Weichtiere und Einzeller hocken in Brainstormings zusammen, trinken Unmengen Kaffee und überlegen, was man gegen Migräne unternehmen könnte. Einer hat dann eine geniale Idee und scheidet sie sogleich in Form einer hoch konzentrierten Substanz aus, die Menschen im Laboratorium nachbauen können.
    »Wir brauchen dringend neue Arten von Pharmaka«, resümiert William Fenical. »Neue Waffen gegen all jene Erreger, die zunehmend resistent auf gewohnte Medikamente reagieren, und Mittel gegen Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer, für die Mediziner bislang noch kein Rezept haben. Marine Organismen liefern die Medikamente der Zukunft. Das Potential der Weltmeere als Quelle neuer Medikamente kann man überhaupt nicht hoch genug einschätzen.«
    Dabei liegt ihm der Schutz der Arten am Herzen. Denn Fenical ist allem Erfolg zum Trotz Idealist geblieben. Den Ausbau seines Instituts zum Pharma-Multi sieht er nicht, stattdessen zieht er es vor, mit dem britischen Branchenriesen GlaxoSmithKline zu kooperieren, um in Ruhe weiter seiner Forschungsarbeit nachgehen und dabei möglichst viel Zeit unter Wasser verbringen zu können.
    Eine Art Symbiose, die Großkonzerne sehr schätzen. Es läuft immer gleich ab: Solange die kleinen, flexiblen Unternehmen der Bioprospektoren nach dem Stein der Weisen suchen, bleiben die Multis in der Beobachterrolle und helfen hier und da, Expeditionen zu finanzieren. Ist der Stein gefunden, steigen sie ein.
    Es klingt gut, und es ist auch gut. Medizin aus

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