Nachrichten aus einem unbekannten Universum
nicht. Vielleicht müssten wir ein weiteres Mal unser hitzeresistentes Bohrfahrzeug bemühen und im Erdinneren nachsehen, wo die Ursache in Regionen unterschiedlicher Dichte liegen könnte. Sogar der Erdkern selbst kann Anomalien des Meeresspiegels auslösen. Aus den schon erwähnten Gründen schließt sich die Fahrt zum Herzen des Planeten aber aus, weshalb wir einmal mehr in Richtung Weltraum schauen.
Zwei Sonden, die europäische Grace und ihr amerikanischer Zwilling Champ, vermessen derzeit das Schwerefeld der Erde aufs Neue. Aufschluss erhoffen sich die Betreiber auch bezüglich der Frage, wie es tatsächlich um den viel zitierten Anstieg des Meeresspiegels bestellt ist. Fest steht bis jetzt lediglich, dass die Erwärmung der Atmosphäre nicht überall auf der Welt die gleichen Auswirkungen hat.
Sie an Bord Ihres Schiffes jedenfalls schwören Stein und Bein, dass der Horizont schnurgerade verläuft und von Bergen und Tälern keine Rede sein kann. Gut so. Wir wollen Sie in dem Glauben lassen, denn Sie haben gerade ein ganz anderes Problem.
Drehen Sie sich mal um.
Wellensalat
Wind ist der Welle lieblicher Buhler,
Wind mischt vom Grund aus schäumende Wogen.
Seele des Menschen, wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen, wie gleichst du dem Wind!
So weit die Betrachtungen eines gewissen Herrn Goethe, dessen unerschöpflicher Geist Naturwissenschaft und Poesie kongenial zu vereinen wusste. Welche Hand, die da nicht zum Auge fährt, um Gischt aus dem Winkel zu wischen. Ein weiterer Spritzer gefällig?
Des Menschen Seele
gleicht dem Wasser.:
Vom Himmel kommt es,
zum Himmel steigt es,
und wieder nieder zur Erde muss es,
ewig wechselnd.
Ach! Kaum dass es einen zu halten vermag. Im Innersten drängt es uns, mit wehenden Rockschößen im Bug zu stehen. Nein, von Buckeln und Dellen im Meeresspiegel dürfte der wortgewaltige Geheimrat wenig gewusst haben, aber das Prinzip der Verdunstung war ihm klarer als Lagunenwasser, wie er auch eines der wichtigsten Prinzipien beschrieben hat, dem sich die Erzeugung von Wellen verdankt. Der Wind, er buhlt um die Welle! In ewiger Liebe zum Nass sucht er sie in romantische Wallung zu versetzen, was ihm je nach Anstrengung mal mehr, mal weniger gelingt. Ein immer währendes Werben ist das, ein nicht enden wollendes Petting der Elemente: zärtlich, wo Fluten erschaudernd sich kräuseln, heftig im Vorspiel, im tosenden Akt orgiastisch sich steigernd, dann brüllend der Höhepunkt, endlich Erschöpfung, in friedvoller Stille sich glättende Wogen, ein Spritzer, ein letzter ... sanft wiegende See.
Tja, die Romantik.
Eine Zeit wogender Emotionen und damit dem Meer näher als allem anderen. Nicht von ungefähr beschwört Wagner auf wallender Welle den Fliegenden Holländer, fließen im Rheingold die Wasser im Gleichmaß des Stromes. Anatols Liadows Der verzauberte See widmet sich der Magie der Binnengewässer, während Antonin Dvoräks Wassermann sein triefendes Haupt aus dem Abgrund reckt. Nichts vermag die Ambivalenz menschlichen Daseins so treffend auszudrücken wie Wasser. Nicht mal der rauschende Wald vereint Gutes und Böses, Verzückung und Hader, Liebe und Hass so stimmig.
Eben noch haben Sie den Horizont betrachtet, breitbeinig, die Hände um die Reling geklammert, haben zugesehen, wie mächtige Wellen herangerollt kamen und das Schiff hoben und senkten. Schwere See, ohne dass Anlass zur Furcht bestünde. Jetzt schauen Sie hinter sich in Erwartung ähnlicher Eindrücke und starren in dunkles Graugrün. Einen Moment lang stutzen Sie. Schon Abend? So schnell ist die Dämmerung heraufgezogen? Dann begreifen Sie, dass es keineswegs der Abend ist, der sich da heranwälzt, sondern eine Wand, gekrönt von rissigem Weiß. Annähernd dreißig Meter hoch dürfte die Welle sein, eine Front, die zu erklimmen unmöglich scheint, weil sie zu steil ist und Ihr Schiff an Höhe weit überragt. Unerbittlich rollt das Monstrum auf Sie zu. Es wird Sie fressen, so viel steht fest. Die See wird Sie verschlingen! Was dann kommt, entzieht sich jeder Vorstellungskraft.
Ich weiß, der Moment ist nicht ganz passend. Aber genau jetzt wollen wir uns ein wenig mit Grundlagenphysik beschäftigen. — Keine Angst, ich bringe Sie noch rechtzeitig in Sicherheit.
Im Zuge unserer Annäherung aus dem Weltraum sind wir dem Meer immer näher gekommen. Wir haben gesehen, wie der Mond gewaltige Wasserberge über die Erde treibt, haben die bucklige Struktur der Ozeane entschlüsselt
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